Tiroler Tageszeitung, Ausgabe vom 19. April 2017; Leitartikel von Karin Leitner: „Wegbereiter für Rattenfänger“

Innsbruck (OTS) - Nicht nur das hohe Votum der Austro-Türken für die Machtausweitung von Präsident Erdogan erschreckt. Alarmierend ist auch die Zahl derer, die in Österreich nach einem „starken Mann“ rufen.

Wenn sie so gut finden, was dort passiert, dann sollen sie hingehen.“ Diesen Satz hört man ob des Ausgangs des Referendums in der Türkei nicht nur von FPÖ-Anhängern, sondern auch von Leuten aus linken und bürgerlichen Kreisen – angesichts dessen, dass 73 Prozent der Türken, die in Österreich leben, für ein Präsidialsystem im Sinne von Recep Tayyip Erdogan gestimmt haben.
Diese emotionale Reaktion ist nachvollziehbar. Viele fragen sich:
Wie kann man die Freiheiten und Vorzüge einer Demokratie beanspruchen, aber dafür plädieren, einem brutalen Machthaber noch mehr Macht zu geben? Einem Herrn, der auf den Rechtsstaat pfeift und Polit-Gegner verfolgen lässt? Wie kann man gutheißen, dass sich ein Land, das in die EU will, immer mehr zur Diktatur entwickelt?
All jene, die Austro-Türken raten, sich Richtung Ankara zu vertschüssen, sollten sich etwas vergegenwärtigen, das nicht minder erschreckend ist als die vielen Pro-Erdogan-Bekundungen vom vergangenen Sonntag: Auch hierzulande gibt es nicht nur gefestigte Demokraten. Im Vorjahr hat eine Studie des SORA-Instituts ergeben, dass sich vier Mal so viele Österreicher nach dem „starken Mann“ in der Politik sehnen wie vor zehn Jahren. Der Politologe Peter Filzmaier kommentierte das so: „Das sind nicht 40 Prozent überzeugte Möchtegern-Diktatoren, aber Menschen, die für undemokratische politische Rattenfänger anfällig wären, egal, ob von ganz links oder ganz rechts.“
Auch da gilt es zu fragen: Wie können in einem Land mit vergleichsweise großem Wohlstand, mit einem Sozial- und Gesundheitssystem, das sich – trotz Schwächen – international sehen lassen kann, und mit einer unseligen Zeitgeschichte so viele nach einem Führer rufen? Ist ihnen nicht bewusst, welche Errungenschaft die Gewaltenteilung ist? Was läuft da falsch? Sind es Abstiegsängste? Sorgen, den Job zu verlieren? Oder keinen mehr zu bekommen? Wird befürchtet, den Kindern könnte es schlechter gehen als den jetzigen Erwachsenen? Schon nach dem „Starker Mann“-Befund hätte die hohe Politik alarmiert sein, Antworten finden und geben müssen. Stattdessen machen die Regierenden nach wie vor das, was sie scheinbar am besten können: sich mit sich selbst beschäftigen – und versuchen, sich auf Kosten des Gegenübers zu profilieren. Sie befördern damit etwas, wogegen sie auftreten sollten: Misstrauen, Verdruss und die Bereitschaft, einem Rattenfänger zu folgen.

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