Aufgedeckt: Chemische Industrie und USA drängen die EU, verbotene Pestizide auf importierten Produkten zu tolerieren

Österreich und sechs weitere EU-Mitgliedsstaaten unterstützten diese Forderung

Wien/Brüssel (OTS) Der heute von der Brüsseler NGO Corporate Europe Observatory (CEO) veröffentlichte Bericht „Toxic residues through the back door“ (Toxische Rückstände durch die Hintertür“) enthüllt einen massiven Lobby-Druck durch Chemieunternehmen und Drittländer auf die EU-Kommission mit dem Ziel, die Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten in die EU auch dann zu ermöglichen, wenn diese Rückstände von Pestiziden enthalten, die in der EU aufgrund von gesundheitsbezogenen „Cut-Off“-Kriterien verboten sind. Der Bericht zeigt auch, dass Österreich unter der damals zuständigen Gesundheitsministerin Hartinger-Klein zusammen mit sechs weiteren EU-Mitgliedstaaten (DE, GB, PL, PT, LT, NL) den Vorstoß der Pestizidindustrie unterstützt hatte.

Die gesundheitsbezogenen „Cut-Off“-Kriterien der EU-Pestizidverordnung (EG) Nr. 1107/2009 schließen Chemikalien mit mutagenen, hormonschädigenden, fortpflanzungsgefährdenden oder krebserregenden Eigenschaften von der Zulassung als Pestizide aus. Damit soll verhindert werden, dass besonders besorgniserregende Stoffe in die Nahrungskette gelangen. Doch während die EU solche Chemikalien aufgrund ihrer inhärenten gefährlichen Eigenschaften von der Zulassung als Pestizide ausschließt (gefahrenbasierter Ansatz), können diese Chemikalien in den USA zugelassen werden (risikobasierter Ansatz). Internationale Chemiekonzerne und die USA attackieren seit langem den gefahrenbasierten Ansatz der EU. Dieser würde zu „Handelsverzerrungen“ führen.

EU-Kommission knickte unter Lobby-Druck ein

Der Bericht von CEO enthält zahlreiche Dokumente, darunter Besuchsprotokolle, Briefe und E-Mails aus den Jahren 2017 bis 2019, die den wachsenden Lobby-Druck auf die EU-Kommission aufzeigen: Pestizidunternehmen wie BASF, Bayer und Syngenta, Handelspartner wie die USA, Brasilien und Kanada und Lobbyorganisationen wie der US Council for Soy Exports, Cereals Canada und der Europäische Pflanzenschutzverband (ECPA) forderten die EU auf, bei der Festlegung von Rückstandshöchstgehalten für importierte Agrarprodukte, die in der EU verbotene Pestizide enthalten, vom gefahrenbasierten Ansatz abzugehen – mit Erfolg:

Noch 2017 hatte die EU-Kommission den Wunsch von Bayer & Co. nach einer Anhebung der Rückstandshöchstgehalte von verbotenen „Cut-Off-Pestiziden“ in importierten Erzeugnissen, sogenannte Importtoleranzen, klar abgelehnt: Diese würden ein „inakzeptables Risiko für die menschliche Gesundheit“ darstellen. Doch ein Jahr und dutzende Lobbying-Treffen später legte die Kommission einen Kompromissvorschlag vor: In einem ersten Schritt sollten wie gehabt (dem gefahrenbasierten Ansatz folgend) die Rückstandshöchstgehalte automatisch auf Null gesetzt werden, sobald ein Cut-Off-Pestizid in der EU verboten wird. In einem zweiten Schritt hätten dann (dem risikobasierten Ansatz folgend) Drittstaaten die Möglichkeit, Importtoleranzen und damit die erneute Anhebung der Rückstandshöchstgehalte zu beantragen. Ob diese gewährt werden, würde die EU nach „systematischer Risikobewertung“ auf einer Fall zu Fall-Basis entscheiden.

Österreich im Einklang mit Pestizidfirmen und USA

Aus einer internen Mitteilung an den Kabinettschef des Gesundheitskommissars Andriukaitis geht hervor, dass Österreich (unter der damals zuständigen Gesundheitsministerin Hartinger-Klein, FPÖ) keine Einwände gegen die geplante Aufweichung des gefahrenbasierten Ansatzes erhob. Im Gegenteil: Obwohl Rückstände von Cut-Off-Pestiziden „inakzeptable Risiken für die menschliche Gesundheit“ darstellen und nur der gefahrenbasierte Ansatz der EU die KonsumentInnen ausreichend schützt, trat Österreich dem Kommissionspapier zufolge für die Aufgabe des gefahrenbasierten zugunsten eines „ausschließlich risikobasierten Ansatzes“ ein. Bestehende Importtoleranzen sollten demnach auch nach Verboten auf Basis von gesundheitsbezogenen Cut-off-Krieterien beibehalten werden. Dieses Plädoyer wurde offenbar von Deutschland, Großbritannien, Litauen, Portugal, den Niederlanden und Polen geteilt. Interessanterweise reichten die USA nur wenige Monate später zusammen mit 15 weiteren Ländern, darunter Kanada, Brasilien und Australien, eine Beschwerde gegen die Europäische Union bei der WTO ein. Darin forderte sie, dass die EU einen „ausschließlich risikobasierten Ansatz“ verfolgen solle.

Freihandel für Industrie, Risiko für Verbraucher, Preisdruck für Bauern

GLOBAL 2000 Umweltchemiker Helmut Burtscher-Schaden kommentiert: „Ein ausschließlich risikobasierter Ansatz nutzt nur Drittländern, die Produkte nach Europa exportieren möchten, unabhängig davon, ob diese gefährliche, in der EU verbotene, Pestizide enthalten oder nicht. Sie ersparen sich Anträge für Importtoleranzen und brauchen nicht zu fürchten, dass die EU die alten Rückstandshöchstgehalte angesichts neuer Erkenntnisse für inakzeptabel hält. Doch nur der gefahrenbasierte Ansatz der EU kann (bei richtiger Umsetzung) verhindern, dass Chemikalien, die erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend, hormonschädligend oder krebserregend sind, in unsere Lebensmittel gelangen. Dass die ehemalige österreichische Gesundheitsministerin darauf abzielte, diesen zu kippen, ist schlicht unfassbar. Ihr Nachfolger, Gesundheitsminister Rudi Anschober, muss diesen Fehler korrigieren und klar stellen, dass Österreich hinter dem in den Gründungsverträgen der EU verankerten Vorsorgeprinzip steht und den Schutz der Gesundheit über den freien Warenverkehr stellt.“

Neben dem Gesundheitsaspekt ist es auch wichtig, die Existenzgrundlage der österreichischen Bäuerinnen und Bauern zu schützen und diese nicht dem unfairen Wettbewerb mit importierten Produkten auszusetzen, die mit Pestiziden erzeugt wurden, die in der EU aus gutem Grund verboten sind.

Burtscher-Schaden, der auch einer der Initiatoren der Europäischen Bürgerinitiative „Rettet Bienen und Bauern“ ist, fügt hinzu: „Fairer Wettbewerb ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass sich biodiversitäts- und klimafreundliche Produktionsformen in der europäischen Landwirtschaft durchsetzen können. Nur so können die Ziele des European Green Deal erreicht werden“

Importtoleranzen und der European Green Deal

Viele Maßnahmen und Ziele des European Green Deal sind mit einer Aufweichung des gefahrenbasierten Ansatzes unvereinbar. Besonders gilt das für die Ankündigung von EU-Landwirtschaftskommissar Janusz Wojciechowski, die Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte, die mit in der EU verbotenen Mitteln behandelt wurden, zukünftig zu unterbinden, aber auch für die Reduktion von Risiken durch Pestizide und die weltweite Förderung der EU-Lebensmittelsicherheitsstandards.

„Kommissionskreisen zufolge ist die Positionierung der EU in der Frage der Importtoleranzen noch nicht entschieden und derzeit Gegenstand intensiver Diskussionen. Wenn die Kommission Ende März ihre „Farm to Fork-Strategie“ präsentieren wird, könnte deshalb ihre Positionierung zu Importtoleranzen eine erste Nagelprobe für den European Green Deal werden“, so Burtscher-Schaden abschließend.

Hintergrundwissen:
Für Pestizidanwendungen, die in der Europäischen Union nicht (mehr) zugelassen sind, wird der zulässige Rückstandshöchstgehalt gemäß der „EU-Verordnung über Höchstgehalte an Pestizidrückständen“ auf einen Minimalwert, die sogenannte Bestimmungsgrenze, abgesenkt. Wenn Drittländer, in denen die Verwendung des betreffenden Pestizids erlaubt ist, diesen Minimalwert nicht einhalten können, haben sie im Rahmen einer Handelsvereinbarung der WTO die Möglichkeit, einen höheren Rückstandshöchstgehalt zu beantragen. Solche Importtoleranzen werden gemäß der EU-Höchstgehalte-Verordnung gewährt, um den „Erfordernissen des internationalen Handels gerecht zu werden“, sofern eine Risikobewertung ergibt, dass das betreffende Lebens- oder Futtermittel, auch bei der beantragten Rückstandshöchstmenge, sicher für den Verzehr ist. Für Pestizidwirkstoffe, die die gesundheitsbezogenen Cut-Off-Kriterien erfüllen, ist das per Definition nicht der Fall. Im Mai des Vorjahrs hatte das Europaparlament erstmals per Veto die Importtoleranz für Rückstände eines Pestizids, das wegen Umweltauswirkungen verboten wurde, verhindert.

Laut einer Analyse der Umweltrechtsorganisation CIEL aus dem Jahr 2015 sind in den USA 82 Pestizide zugelassen, die in der EU verboten sind. Weitere 58 Pestizidwirkstoffe, die in der EU aufgrund gefahrenbasierter Cut-Off-Kriterien zukünftig verboten werden könnten, hat die Industrielobbygruppe ECPA selbst identifiziert.

Der Report: https://corporateeurope.org/en/2020/02/toxic-residues-through-back-door

Rückfragen & Kontakt:

DI Dr. Helmut Burtscher-Schaden, GLOBAL 2000 Umweltchemiker, 0699 14 2000 34, helmut.burtscher@global2000.at

Michael Lachsteiner, GLOBAL 2000 Pressesprecher, 0699 14 2000 20,
michael.lachsteiner@global2000.at

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Quelle

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