Bilanz des EU-Ratsvorsitzes fällt bei Abgeordneten gespalten aus

Harter Schlagabtausch bei Debatte über EU-Erklärung von Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache

Wien (PK) Auch die weitere Debatte im Nationalrat über die Bilanz des österreichischen EU-Ratsvorsitzes brachte keine Annäherung der jeweiligen Sichtweisen von Regierung und Opposition. Die Bandbreite der Beurteilungen reichte von „äußerst erfolgreich“ und „Politikwechsel“ bis hin zu „Inszenierungsnebel“, „Debakel“ und „politischer Verantwortungslosigkeit“. Lediglich die NEOS sahen die Dinge differenzierter und meinten, die Wahrheit werde zwischen überschäumenden Lob und vernichtender Kritik wohl in der Mittel liegen.

SPÖ: Österreichischer Ratsvorsitz hat nichts weitergebracht

Von einem Debakel sprach seitens der SPÖ Jörg Leichtfried und zitierte dabei kritische JournalistInnen, die helfen würden, den „Inszenierungsnebel“ zu durchschauen. Europa sei ein Traum von einem grenzenlosen Raum und einem funktionierenden Schengen-System, sagte Leichtfried, die Regierung habe aber keinen einzigen Beschluss zu Frontex zustande gebracht. Passiert sei auch nichts im Hinblick auf eine koordinierte Migrations- und Asylpolitik, die Bundesregierung rühme sich lediglich, die Grenzen zu schließen. Dieser Kritik schloss sich auch seine Fraktionskollegin Muna Duzdar vollinhaltlich an. Für sie ist es unverständlich, dass man auf den Außengrenzschutz drängt und dafür finanziell nichts beitragen will. Als verantwortungslos bezeichnete sie auch, wie die Bundesregierung mit der Flüchtlings- und Migrationsfrage umgeht. Sie hegte dabei den Verdacht, dass die Regierung ganz bewusst so handelt, um mit der schwierigen Situation Stimmungsmache betreiben und damit punkten zu können.

Sowohl Leichtfried als auch Duzdar vermissen vom österreichischen Ratsvorsitz Maßnahmen gegen das Lohn- und Sozialdumping. Ebenso wenig werde gegen Scheinfirmen und Scheinselbständige unternommen. Es könne auch nicht sein, dass es in der EU zu einem Wettbewerb nach unten kommt, warfen beide ein. Das führe zur Entfremdung der BürgerInnen. Duzdar warf dem Kanzler dezidiert vor, sozialen Rechten keine Bedeutung beizumessen. Ferner gab Leichtfried der Regierung Schuld daran, dass es noch nicht zu einer Digitalsteuer gekommen ist und die Finanztransaktionssteuer zu Grabe getragen worden sei. Die EU stehe heute zerrütteter und gespaltener denn je da, so das Resümee der beiden SPÖ-PolitikerInnen.

JETZT: Regierung handelt verantwortungslos

Ins gleiche Horn stieß Peter Pilz von der Fraktion JETZT. Er ortete fünf Fragen, die nach wie vor ungelöst sind und beschuldigte die Regierung der Verantwortungslosigkeit. So habe es nicht einmal einen Versuch gegeben, eine Antwort auf die Klimakrise zu finden, so Pilz. Ähnlich wie die SPÖ beklagte er, dass es keine Finanztransaktionssteuer geben werde und warnte in diesem Zusammenhang davor, dass damit die nächste Finanzkrise drohe. Denn man habe es nicht geschafft, den unkontrollierten Handel mit gefährlichen Finanzprodukten zu unterbinden. Außerdem liege kein europäisches Konzept zu einer humanen Digitalisierung vor, so der weitere Vorwurf von Pilz.

Er vermisste zudem Schritte zu einer Sozialunion und forderte eine europäische Arbeitslosenversicherung ein, zu der es nicht einmal Überlegungen gebe. Schließlich sei die Verstärkung von FRONTEX auf ein Jahrzehnt begraben worden, Europa habe auch unter österreichischem Vorsitz keine gemeinsame Antwort auf die Probleme der großen Wanderbewegungen gegeben. Auch den Menschen vor Ort zu helfen, sind laut Pilz nur leere Versprechungen, denn mit seinem Beitrag zum Welternährungsprogramm liegt Österreich lediglich auf Platz 43. Pilz nannte das „eine menschliche Schande“.

NEOS bewerten politische Herangehensweise der Regierung negativ

Für die NEOS wiederum gibt es Dinge, die gut abgearbeitet wurden, und Dinge, die schlecht gelaufen sind. Laut Claudia Gamon und Irmgard Griss liegt die Wahrheit wohl in der Mitte. Gamon lobte vor allem die Arbeit der österreichischen BeamtInnen, wobei sie betonte, bei der Beurteilung gehe es um die politische Herangehensweise, und diese fällt den NEOS zufolge wenig positiv aus.

So ortete Gamon beim Thema EU-Budget eine eher innenpolitische Stoßrichtung und weniger das Bemühen um eine europapolitische Weiterentwicklung. Die Regierung habe beispielsweise keine konkreten Einsparungsvorschläge vorgelegt, begründete sie ihre Einschätzung. Auch hält sie die ursprünglich angedachte Aufstockung von Frontex für unrealistisch. Bei der Migration verlasse sich die Politik eher darauf, dass die Probleme von anderen gelöst werden. Ähnlich wie SPÖ-Abgeordnete Duzdar mutmaßte auch Gamon, dass die Regierung nicht daran interessiert sei, Probleme zu lösen, da man in schwierigen Situationen viel leichter politisches Kleingeld schlagen könne.

Ihr Fraktionskollege Gerald Loacker bekrittelte die Performance des Ratsvorsitzes als „lauwarm“, die Sozialministerin hat in seinen Augen eine traurige Rolle gespielt. Die Arbeitsagentur, die nun kommen soll, habe keinen Mehrwert, sie bringe nur mehr Bürokratie, da es bereits vier Agenturen und Behörden gebe, die de facto dieselben Aufgaben haben.

Hart ins Gericht mit der Bundesregierung ging Michael Bernhard von den NEOS in Bezug auf die Klimapolitik. Dass der Klimawandel von Menschen beeinflusst ist, sei keine Glaubensfrage mehr und auch keine Ideologie, sagte er. Handeln sei ein Gebot der Stunde, die Umweltministerin habe es während der Ratspräsidentschaft jedoch geschafft, Zahlen zu präsentieren, die weder den Zielen der EU noch jenen des Pariser Klimaabkommens noch den eigenen Zielen entsprächen. Man müsse endlich aus dem Ignorieren und Leugnen herauskommen, forderte er.

Irmgard Griss (NEOS) versuchte einen allgemeineren Ansatz und appellierte an alle mitzuhelfen, für das Positive der EU – nämlich den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Bewusstsein zu schaffen. Die wichtigste Frage ist für sie, ob es Österreich gelungen ist, den Menschen Europa näher zu bringen. Es gehe darum, über Europa ins Gespräch zu kommen und nicht nur über Europa zu schimpfen. Europa stelle ein heterogenes Gebilde dar, wo Krisen ein Normalzustand seien, sagte sie. Aber durch Krisen würden Kräfte mobilisiert und die EU sei aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen.

Konform mit Griss ging der fraktionslose Abgeordnete Efgani Dönmez. Besonders positiv bewertete er die Bemühungen um die Heranführung der Länder des Westbalkans an die EU, denn zur Überwindung der großen Spannungen sei eine Beitrittsperspektive wichtig. Einen kritischen Blick warf Dönmez auf die Türkei und unterstützte die Regierung, die für eine Beendigung der Beitrittsgespräche eintritt. „Mit diesen Islamisten ist kein Staat zu machen“, stellte Dönmez fest. Er warb aber dafür, den säkularen und liberalen Kräften in der Türkei solidarisch beizustehen. Dönmez sprach sich auch für eine neue Kooperation mit der Türkei auf Augenhöhe aus. Den Islamisten müsse man aber die rote Linie zeigen.

ÖVP: Österreich hat in schwierigen Zeiten große Herausforderungen angepackt und vieles weitergebracht

Eine ganz andere Sichtweise kam von den RednerInnen der beiden Regierungsparteien. Er könne schon nicht mehr hören, dass man Österreich permanent umweltpolitisch schlecht redet und die Fakten außer Acht lässt, betonte etwa Karlheinz Kopf (ÖVP). So sei beispielsweise die österreichische Wirtschaft mit ihren hohen Umweltstandards eine der besten. Ebenso verteidigte Nikolaus Berlakovich (ÖVP) die Klimapolitik Österreichs und attestierte Nachhaltigkeitsministerin Köstinger, sich bei der Klimakonferenz in Kattowitz mit allen Kräften um eine europäische koordinierte Position zu bemühen.

Fazit für Kopf ist, dass Österreich als kleines Land in schwierigen Zeiten große Herausforderungen angepackt und vieles weitergebracht hat, beispielsweise in der Frage der Subsidiarität. Man habe die Aufgaben hervorragend bewältigt, betonte er unisono mit Nikolaus Berlakovich. Letzterer gab gegenüber der Opposition zu bedenken, dass die Ratspräsidentschaft keine Wundertüte sei, aus der man Lösungen herauszaubern könne. Österreich habe aber mit seinen politischen Schwerpunkten der Union einen Stempel aufgedrückt und es sei gelungen als Mittler eine starke Stimme zu erheben.

Das Subsidiaritätsprinzip wurde auch von Kira Grünberg (ÖVP) unterstrichen, die die zahlreichen regionalen Veranstaltungen während des Ratsvorsitzes begrüßte. Diese hätten dazu beigetragen, die EU näher an die BürgerInnen zu bringen. Besonders zufrieden zeigte sich Grünberg über die Annahme der neuen EU-Jugendstrategie.

Kopf wies auch darauf hin, dass Russland und die USA ein globaler Unsicherheitsfaktor geworden seien, Österreich aber in seiner unmittelbaren Nachbarschaft am Westbalkan einen Beitrag zur Stabilität geleistet habe. Darin war er mit Nikolaus Berlakovich einer Meinung. Auf dem Westbalkan sei Österreich als Brückenbauer unter Einbindung der Zivilgesellschaft aufgetreten, betonte Berlakovich. Zentraler Punkt sei dabei der permanente Dialog mit der Bevölkerung.

Auch für den mittelfristigen Finanzrahmen sei durch den Brexit die Ausgangslage schwierig gewesen, sagte Karlheinz Kopf. Und auch hier sei es gelungen, eine vernünftige Balance zwischen notwendigen Offensivmaßnahmen einerseits und den Leistungen der Mitgliedstaaten andererseits zu schaffen. Ebenso beachtlich für ihn war die parlamentarische Dimension. Kopf hob in diesem Zusammenhang das COSAC-Plenum und die Fiskalpaktkonferenz hervor.

Was die Migrationspolitik betrifft, so entgegnete Berlakovich den SPÖ-RednerInnen, dass der Traum vom grenzenlosen Europa platze, wenn man die Probleme nicht offen anspricht. Ernst Gödl (ÖVP) schloss daran an und brachte die Afrikapolitik zur Sprache. Hier habe der Bundeskanzler eine gute Performance geboten, sagte er. Der Wohlstand Europas sei eng mit einem stabilen Afrika verknüpft. Das kommende Afrika-Forum sieht Gödl als einen wichtigen Beitrag zur Hilfe vor Ort.

FPÖ: Es ist ein Politikwechsel gelungen

Die FPÖ-Redner konzentrierten sich in ihren Beiträgen auf die Flüchtlings- und Migrationsfrage und hielten der SPÖ vor, dass es die Sozialdemokratie gewesen sei, die im Jahr 2015 den Traum vom grenzenlosen Europa zerstört habe.

Roman Haider (FPÖ) wandte sich dezidiert gegen eine unkontrollierte Massenzuwanderung aus fremden Kulturen, denn das wäre seiner Meinung nach das Ende des Rechts- und Sozialstaates, das Ende der Trennung zwischen Staat und Religion, das Ende der liberalen Gesellschaft und das Ende der europäischen Kultur. Er bekräftigte die negative Haltung zum Migrationspakt und meinte, mit dem Flüchtlingspakt könne er leben, denn dort werde eine Trennlinie zwischen Flüchtlingen und MigrantInnen gezogen. Vieles darin sei bereits Teil der eigenen Rechtsordnung, es dürfe jedoch kein neues Völkerrecht daraus entstehen, so Haider.  

Auch für Reinhard Eugen Bösch (FPÖ) fällt der österreichische Ratsvorsitz zu den verantwortungsvollsten der letzten Jahre. In der Vergangenheit habe man mit den Grundfreiheiten Schindluder getrieben, meinte er, der österreichische Ratsvorsitz habe mitgeholfen, hier einen Politikwechsel einzuleiten. Das beginne beim Schutz der Außengrenzen, zudem sei die Stärkung von Frontex eingeleitet worden. Ebenso sei die Besteuerung von Großkonzernen, die Finanztransaktionssteuer und die Digitalsteuer nicht mehr vom Tisch zu wischen. Vom Innenminister sei zudem die Sicherheitspolitik vorangetrieben worden. Österreich stehe am Scheideweg zwischen Scheitern und der Neugeburt einer praktischen Politik im Sinne der BürgerInnen, gab Bösch zu bedenken. (Schluss EU-Erklärung/Fortsetzung Nationalrat) jan

HINWEIS: Fotos von der EU-Erklärung und der Debatte finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV.  

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