Bundesrat schickt zwei Subsidiaritätsrügen zu EU-Plänen für den Elektrizitätsbinnenmarkt nach Brüssel

EU-Ausschuss kritisiert geplante Kompetenzübertragungen an EU

Wien (PK) - Der EU-Ausschuss des Bundesrats beschloss heute einstimmig gleich zwei Subsidiaritätsrügen. Sie betreffen die Vorschläge der EU hinsichtlich einer Verordnung über den Elektrizitätsbinnenmarkt und einer Richtlinie mit gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt. Auch die Bundesländer haben sich in einer gemeinsamen Stellungnahme dazu äußerst kritisch geäußert. Beide Gesetzentwürfe sind Teil des sogenannten "Winterpakets" der EU - ein Gesetzespaket aus vier Verordnungs- und vier Richtlinienvorschlägen, mit dem die Energieunion vervollständigt und der 2014 festgelegte Rahmen für die Klima- und Energiepolitik der EU bis 2030 sowie auch der Pariser Klimavertrag umgesetzt werden sollen.

Für die Bundesrätinnen und Bundesräte widersprechen Detailbestimmungen beider Vorlagen dem Prinzip der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Vor allem lehnen sie es ab, nationale Entscheidungskompetenzen der EU zu übertragen und kritisieren die vorgesehene Befugnis zum Erlass delegierter Rechtsakte, wie Ausschussvorsitzender Edgar Mayer (V/V) ausführte.

Von vielen Seiten wurde die Notwendigkeit nationaler Steuerungsbefugnis bei der Energieversorgung unterstrichen. Die politische Kontrolle müsse auf nationalstaatlicher Ebene bleiben, meinte etwa Heidelinde Reiter (G/S). Energie habe etwas mit Versorgung zu tun, und die müsse man steuern können, sagte Stefan Schennach (S/W). Strom müsse in der öffentlichen Versorgung bleiben, hielt auch Monika Mühlwerth (F/W) fest. Es sei notwendig, in Zukunft Netze zu bauen, und diese hätten in nationalen Händen zu bleiben, betonte auch Ferdinand Tiefnig (V/O).

Skepsis wurde im Ausschuss auch in Bezug auf die Smart Meter und die geplanten dynamischen Tarife laut. Normale Haushalte könnten sich nicht immer aussuchen, wann man Geräte einschaltet, gaben Monika Mühlwerth (F/W) und Eduard Köck (V/N) zu bedenken. Der dynamische Strompreis dürfe nicht verpflichtend sein, meinten sie. Bedenken wurden auch seitens der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer geäußert. Die Arbeitnehmervertreterin verlangte einen zeitunabhängigen Tarif, der nicht variabel ist. Seitens der Wirtschaftskammer vertrat man die Ansicht, dass es dynamische Tarifstrukturen geben soll, jedoch nicht verpflichtend. Der im Wirtschaftsministerium zuständige Sektionschef meinte dazu, dynamische Tarife seien im Hinblick auf Warmwasser, Wärmepumpen oder E-Mobilität eine notwendige Weichenstellung, wo man leichter den Stromverbrauch zeitlich steuern könne. Keinesfalls soll dadurch ein Stress für Kleinhaushalte entstehen.

Die Vorschläge der EU-Kommission zum Elektrizitätsbinnenmarkt

Der Verordnungsentwurf in Bezug auf den Elektrizitätsbinnenmarkt enthält neue Kernprinzipien für den EU-Markt und den Stromhandel, vor allem geht es um die Integration der Erzeugung erneuerbarer Energie. Wie man aus dem Wirtschaftsministerium erfuhr, gibt es dazu noch viel Diskussionsbedarf, sodass das Thema wahrscheinlich noch die österreichische Ratspräsidentschaft beschäftigen wird.

Das Privileg für Ökostrom soll eingeschränkt, der Einspeisevorrang soll abgeschafft werden. Prinzipiell soll der Einspeisevorrang nur noch für kleine Anlagen bis zu 500 kW gelten. In Mitgliedstaaten, in denen die gesamte installierte Kapazität 15% übersteigt, wird dieser Einspeisevorrang auf 250 kW heruntergesetzt. Diese Schwellenwerte sind aber noch in Diskussion, hieß es im Ausschuss dazu seitens des zuständigen Sektionschefs im Wirtschaftsministerium. Bereits bestehende Ökostrom-Kraftwerke sollen jedoch ihre Einspeisetarife behalten, auch Kleinanlagen - etwa Solarzellen auf Hausdächern -sollen weiterhin Vorrang genießen. Die Kommission will mit der Abschaffung des Einspeisevorrangs eine Subventionsspirale verhindern. Der Energiemarkt soll laut Kommission wettbewerbsorientiert, verbraucherzentriert, flexibel und nicht-diskriminierend gestaltet sein, das betrifft auch die Preisbildung.

Die Kommission will außerdem die Strukturen des Strommarkts modernisieren, weil voraussichtlich im Jahr 2030 die Hälfte des Stroms in der EU aus erneuerbaren Quellen kommt und dafür der Strommarkt der Union nach Meinung der Kommission nicht gerüstet ist, weil es an Leitungen mangelt. Vorgeschlagen wird daher die Einrichtung von Preiszonen, was Anreiz für den Leitungsbau und den Bau von Kraftwerken bilden soll. Die Festlegung von Strompreiszonen im Rahmen der sogenannten "Bidding Zone Review" soll weg von den Mitgliedstaaten in die Entscheidungskompetenz der Kommission fallen, was kritisch gesehen wird. Das sei eine politische Frage, meinte dazu der Experte des Wirtschaftsressorts, denn Ziel der EU sei es, diese Zonen kleiner zu gestalten. Das sei auch der Hintergrund dafür, dass Deutschland die Preiszone zu Österreich trennen will.

Zudem ist geplant, regionale Betriebszentren (ROCs) mit einer einseitigen Anordnungsbefugnis einzurichten. Sie sollen grenzüberschreitend enger in Cluster kooperieren. Österreich nimmt dazu eine sehr kritische Haltung ein, weil das Management im Strombereich gut funktioniert und Sorge dahingehend besteht, dass ein jahrzehntelang gut funktionierendes System neu organisiert werden soll.

Außerdem ist die Einrichtung einer Europäischen Organisation (EU DSO Entity) als Repräsentations- und Arbeitsgremium für die Verteilnetzbetreiber vorgesehen. Zu deren Aufgabe soll unter anderem das Datenmanagement und der Datenschutz, die Erstellung von Netzkodizes und die Entwicklung der Steuerung der Nachfrage durch intelligente Technologie (Demand Response) zählen.

Umstritten ist laut Wirtschaftsministerium auch noch die Frage der Reservekraftwerke, sie sollten modern und sauber betrieben werden. Keinesfalls sollten damit Kohlekraftwerke am Leben erhalten werden, was der Politik einiger EU-Länder aber zuwiderläuft.

Zusätzlich dazu hat die Kommission einen Richtlinienvorschlag zu gemeinsamen Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt vorgelegt. Er zielt auf die Stärkung der StromkundInnen und auf aktivere KonsumentInnen ab. Ihre Rechte sollen gestärkt werden, sie haben laut Vorlage die Möglichkeit, Strom zu speichern und zu verkaufen. Auch wird darin das Recht auf verbesserte Information und auf Smart Meter festgeschrieben. Durch Smart Meter gibt es differenzierte und dynamische Tarife und spezielle Tariflösungen. Lokale Energiebehörden sollen zudem autonome Gemeinschaftsnetze betreiben können. Ferner werden neue Aufgaben für Übertragungs- und Verteilernetzbetreiber im Hinblick auf Speicher für Aufladestationen für E-Fahrzeuge geschaffen.

Mit Hilfe des "Winterpakets" will die EU beim Übergang zu einem umweltfreundlichen Energiesystem eine Vorreiterrolle übernehmen und den Strommarkt weiterentwickeln. Die EU-Kommission ist auch überzeugt davon, dass der Übergang zu sauberer erneuerbarer Energie der Wachstumssektor der Zukunft ist und damit zur Steigerung von Wachstum und Beschäftigung beiträgt. Dritte Stoßrichtung der rund 3.500 Seiten umfassenden Vorschläge des Gesamtpakets ist die stärkere Einbeziehung der KonsumentInnen und die Versorgungssicherheit mit leistbarer Energie.

Ziel der EU ist es, die Treibhausgasemissionen in Europa um mindestens 40% bis zum Jahr 2030 zu reduzieren. Der Anteil an erneuerbaren Energien im Verbrauch soll dann mindestens 27% betragen. Letztere ist eine europaweite Marke, die nicht auf die Mitgliedstaaten heruntergebrochen wird. Diese legen ihre eigenen Ziele fest. Priorität legt die Kommission auf die Energieeffizienz. Sie soll bis zum Jahr 2030 um 30% gegenüber 1990 steigen, statt wie bisher geplant um 27%. Erreichen will dies die Union vor allem durch Maßnahmen im Bereich der Gebäude, etwa bei der Wärmedämmung und durch mehr Effizienz bei technischen Anlagen. Die Einfuhr von Öl und Gas soll dadurch reduziert werden.

Die Kritik des Bundesrats

Besonders stoßen sich die Bundesrätinnen und Bundesräte daran, dass nationale Entscheidungsbefugnisse auf die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) und - im Zusammenhang mit den sogenannten Bidding Zones - auf die EU-Kommission übertragen werden sollen, zumal diesbezügliche Entscheidungen aufgrund der größeren Sachnähe und besseren regionalen Kenntnissen auf nationaler bzw. regionaler Ebene besser durchgeführt werden können. Außerdem handle es sich dabei oftmals um Ermessensentscheidungen, die nach Rechtsprechung des EuGH nicht an eine Agentur ausgelagert werden dürfen.

Auch zweifeln die Ausschussmitglieder den organisatorischen Mehrwert der Regionalen Betriebszentren zusätzlich zu den bereits etablierten Servicegesellschaften der Übertragungsnetzbetreiber sowie der Koordinierung über den Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) an. Die Verschiebung von nationalen Entscheidungskompetenzen zu einem überregionalen, autonomen Organisationsgremium sei eine klare Einschränkung nationaler Entscheidungsbefugnisse, heißt es in der Subsidiaritätsrüge unmissverständlich. Besonders kritisch wird dabei die für die Regionalen Betriebszentren vorgesehene quasi-behördliche Anordnungsbefugnis mit rechtlicher Bindungswirkung bewertet, für die noch dazu jegliche Regelung zum Rechtsschutz fehle. Auch befürchten die LändervertreterInnen, dass mit der Einrichtung dieser Zentren Doppelstrukturen geschaffen werden, was insgesamt zu Ineffizienzen führen werde. Sie lehnen daher das vorgeschlagene Organisationsprinzip grundsätzlich ab. Nicht akzeptiert wird zudem eine regionale Bemessung von Regelreserven durch die EU, da damit nationale Entscheidungskompetenzen eingeschränkt würden.

Der EU-Ausschuss begrüßt grundsätzlich die Stärkung der StromkundInnen sowie die Möglichkeit für VerbraucherInnen, selbst Strom zu erzeugen, zu speichern und zu vermarkten. Positiv wird auch die Möglichkeit gesehen, dass lokale Energiegemeinschaften autonome Gemeinschaftsnetze betreiben können. Die Entwicklungen müssten jedoch einem klaren und diskriminierungsfreien rechtlichen Regelwerk unterliegen, heißt es dazu in der Subsidiaritätsrüge.

Die Front der Kritiker ist breit

Kritische Anmerkungen kamen auch von der Arbeiterkammer und der Wirtschaftskammer. Für die Arbeiterkammer stellen das Winterpaket, insbesondere die heute diskutierten Gesetzesentwürfe, einen der stärksten Eingriffe in den Strombinnenmarkt dar. Skepsis gibt es unter anderem gegen die lokalen Energiegemeinschaften, da der Strommarkt weiterhin der solidarischen Finanzierung unterliegen sollte. Die Regelungen für die Entflechtungsvorschriften sind für die Arbeitnehmervertretung zu unklar, man will das Ganze weiterhin in der öffentlichen Hand sehen. Ebenso wird die Kompetenzverschiebung in einigen Bereichen in Richtung EU abgelehnt.

Die Wirtschaftskammer wiederum wendet sich gegen jegliche künstliche Eingriffe in den Markt und begrüßt die Abschaffung des Einspeisevorrangs für Ökostrom. Die Wirtschaftsvertreterin sprach sich für neue Geschäftsmodelle aus, bewertete zugleich aber die Regionalen Betriebszentren kritisch. Es sei zu hinterfragen, wer dann in der Krise zuständig sein soll.

Trotz ihrer kritischen Sicht zeigte sich Monika Mühlwerth (F/W) insofern zufrieden, dass die EU auf erneuerbare Energie setzt. Ihr Fraktionskollege Christoph Längle (F/V) äußerte sich jedoch kritisch zur noch ungelösten Entsorgung der Batterien in Hinblick auf die E-Mobilität.

Kein gutes Haar an den Vorlagen ließ Heidelinde Reiter (G/S) von den Grünen. Das Paket ist ihrer Ansicht nach zu wenig ambitioniert, um tatsächlich die Ziele des Pariser Klimaabkommens auch erreichen zu können. Die Situation für die erneuerbaren Energien werden ihrer Ansicht nach nicht besser, bestehende Anlagen wie Biomasse und Biogas müssen abgeschaltet werden - ein Rückschritt, der sie entsetzt, wie sie betonte. Diese Sorge teilte auch Ferdinand Tiefnig (V/O) mit ihr. Der geplante Kapazitätsmechanismus werde dazu führen, dass gut funktionierende Anlagen abgedreht werden, befürchtet Reiter.

So negativ wollte der Sektionschef des Wirtschaftsministeriums das Paket nicht sehen. Als wesentlich bezeichnete er es, dass der Energiemix in nationaler Kompetenz bleibt.

"Winterpaket" der EU beschäftigt EU-Ausschüsse von Nationalrat und Bundesrat

Der EU-Ausschuss des Bundesrats hat bereits einige Einzelvorschläge des Winterpakets beraten und dazu kritische Stellungnahmen abgegeben. Siehe dazu Meldungen der Parlamentskorrespondenz Nr. 29/2017, Nr. 130/2017 und Nr. 269/2017. Die diesbezüglichen Mitteilungen an Brüssel betreffen die Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden vom 17. Jänner 2017 sowie die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor und die Agentur der EU für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) vom 15. März 2017. Auch der EU-Unterausschuss des Nationalrats hat sich am 21. März 2017 mit dem Winterpaket auseinandergesetzt (siehe Meldung der Parlamentskorrespondenz Nr. 313/2017).

Stefan Schennach (S/W) hielt dazu fest, dass die Kommission auf die vom Bundesrat geäußerten Bedenken und Kritik zunehmend eingehe. Es sei erfreulich, dass nun auch vermehrt EU-Ausschüsse anderer Parlamente dem Beispiel des EU-Ausschusses der Länderkammer folgen. (Schluss) jan

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