Effiziente Einbindung Österreichs in die europäische Industriepolitik von hoher Dringlichkeit

Rat für Forschung und Technologieentwicklung legt Empfehlung vor

Wien (OTS) Der Rat für Forschung und Technologieentwicklung unter dem Vorsitz von Hannes Androsch hat anlässlich seiner heutigen Sitzung eine Empfehlung zur Einbindung Österreichs in die europäische Industriepolitik beschlossen. Darin heißt es:

Empfehlung

Vor dem Hintergrund der geopolitischen Umwälzungen und der gegenwärtigen digitalen Transformation empfiehlt der Rat ein stärkeres Engagement Österreichs im Rahmen der europäischen Industriepolitik. Insbesondere die europäische Diskussion zur Bedeutung der strategischen Wertschöpfungsketten ist für Österreich von höchster Relevanz. Dabei ist ein holistischer Ansatz zu etablieren, der eine langfristige industriepolitische Strategie verfolgt und konkrete Maßnahmen zur Steigerung der Innovationsperformance in den strategisch bedeutenden Schlüsseltechnologien implementiert. Um die langfristigen Chancen Österreichs sicherzustellen und die Einbindung heimischer FTI-Aktivitäten in europäische Projekte und Prozesse zu stärken, müssen in Österreich ausreichend Anreize geschaffen werden.

Zur Erhöhung der Forschungs- und Innovationsaktivitäten empfiehlt der Rat daher in enger Abstimmung mit anderen Politikbereichen eine Forcierung der von der EU-Kommission definierten Schlüsseltechnologien (Key Enabling Technologies, KETs) als zentrale Teile der strategischen Wertschöpfungsketten für Europa und eine grundsätzliche Beteiligung an Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (Important Projects of Common European Interest, IPCEI). Die Mitwirkung Österreichs in IPCEI im Bereich der KETs ist aus Sicht des Rates eine standort- und technologiepolitische Notwendigkeit.

Basierend auf den IPCEI und KETs sollten daher nach Auffassung des Rates nationale Forschungs- und Innovationsschwerpunkte definiert werden. Diese sollen über nationale Förderprogramme aufgegriffen werden und zudem Investitionsförderungen sowie Qualifizierungsmaßnahmen vorsehen. Dadurch können maßgefertigte Forschungs- und Innovationsaktivitäten initiiert werden, die zu einer effizienten Einbindung Österreichs in die strategische europäische Industriepolitik beitragen.

Hintergrund

Die EU gehört mit den USA und China zu den drei wichtigsten wirtschaftspolitischen Akteuren der Welt. Einen wesentlichen Anteil daran hat die europäische Industrie, die Wachstum, Arbeitsplätze und Wohlstand sichert und die Innovationskraft in Europa stärkt. Dies wird durch nachstehende Zahlen aus dem Bereich Manufacturing in Europa eindrucksvoll belegt:[1]

  • Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung (plus 6 Prozent seit 2009);
  • Beschäftigung: mit über 1,5 Millionen neuen Arbeitsplätzen in der Industrie seit 2013;
  • Arbeitsproduktivität: 2,7 Prozent pro Jahr Wachstum im Durchschnitt seit 2009, höher als in den USA (0,7 Prozent) und Korea (2,3 Prozent).

Im Vergleich zu den USA und zu China erscheint jedoch die europäische Industrie-, Technologie- und Innovationspolitik nach wie vor zu wenig fokussiert auf gemeinsame strategische Kompetenzen und Interessen.[2] Disruptive Technologien und das wirtschaftliche Wettrüsten von China und den USA machen klar, dass die EU ihre Anstrengungen bei industriepolitischen Themen jetzt intensivieren muss, um im globalen Wettbewerb nicht zurückzufallen. Dabei geht es darum, Schlüsselkompetenzen und strategische Wertschöpfungsketten in Europa zu stärken und auszubauen.

Als Land mit hoher Industriequote, ist Österreich nach Ansicht des Rates prädestiniert, die europäische Industriepolitik als geeignetes strategisches Instrument verstärkt in die Mitte seiner EU-Politik zu rücken. Trotz der Finanz- und Wirtschaftskrise entstanden in Europa in den letzten zehn Jahren mehr als 11 Millionen neue Arbeitsplätze, die in direktem und indirektem Zusammenhang mit dem Industriewachstum stehen.[3] Umso wichtiger ist es, die effiziente Einbindung Österreichs in die europäische Industriepolitik zu forcieren. Als geeignetes industriepolitisches Instrument hat die EU dazu die Möglichkeit der Umsetzung von Important Projects of Common European Interest[4] (IPCEI) bereitgestellt, um wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse durch staatliche Beihilfen zu finanzieren. Damit sollen die Mitgliedstaaten dazu ermutigt werden, grenzübergreifende Projekte zu fördern, die einen klaren Beitrag zur Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit leisten.

Im Rahmen von IPCEI können Wissen, Know-how, finanzielle Mittel und Wirtschaftsbeteiligte aus der gesamten Europäischen Union zusammengeführt werden, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderungen zu adressieren, die ansonsten nicht gelöst werden könnten. Sie sind so ausgestaltet, dass der öffentliche und der private Sektor gemeinsam groß angelegte Vorhaben durchführen, die bedeutende Vorteile für die EU und ihre BürgerInnen hervorbringen.[5] Dabei ist anzumerken, dass ein Vorhaben als IPCEI (im Sinne des Artikels 107, Absatz 3, Ziffer b) beschrieben werden kann, wenn es Teil eines transnationalen europäischen Programms ist, das gemeinsam von einer Reihe von Regierungen der Mitgliedstaaten unterstützt wird oder das Ergebnis einer konzertierten Aktion einer Reihe von Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung einer gemeinsamen Bedrohung ist.[6]

IPCEI können aufgrund ihrer positiven Spill-over-Effekte für alle Politikbereiche und Maßnahmen relevant sein, die gemeinsame europäische Ziele verfolgen und industriepolitische Aktivitäten auf nationaler Ebene aufgreifen. Vor allem aber trifft dies auf die Schlüsselbereiche zu, die ganz entscheidend zur Sicherung von Wettbewerb, Wohlstand und Wachstum beitragen, wie etwa die von der EU-Kommission definierten Schlüsseltechnologien (Key Enabling Technologies, KETs), die ein grundlegender Bestandteil der europäischen Industriepolitik sind.[7]

Der offiziellen Definition zufolge sind Schlüsseltechnologien „wissensintensiv und durch hohe FuE-Intensität, schnelle Innovationszyklen, hohen Kapitalaufwand und hochqualifizierte Arbeitskräfte gekennzeichnet. Sie ermöglichen Innovation bei Prozessen, Waren und Dienstleistungen und sind von systemischer Bedeutung für die gesamte Wirtschaft. Darüber hinaus sind sie multidisziplinär, berühren eine Vielzahl technologischer Bereiche und weisen einen deutlichen Trend zur Konvergenz und Integration auf. In diesem Sinne können die Schlüsseltechnologien führende Technologieanbieter in anderen Bereichen dabei unterstützen, die Vorteile ihrer Forschungstätigkeit auszuschöpfen.“[8]

Auf Basis diverser Forschungsarbeiten sowie wirtschaftlicher Analysen von Markttrends und ihres Beitrags zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen wurden 2009 von der Europäischen Kommission die folgenden sechs Themen als anerkannte übergreifende Schlüsseltechnologien der EU definiert:[9]

  • Mikro-/Nanoelektronik
  • Nanotechnologie
  • Photonik
  • Materialwissenschaften
  • industrielle Biotechnologie
  • fortschrittliche Fertigungstechnologien

Diese technologiepolitische Fokussierung hat seither Wirkung gezeigt: Insgesamt 15 Mitgliedsstaaten haben mittlerweile sechs KETs als „intelligente Spezifizierung“ definiert.[10] In Vorbereitung des kommenden 9. EU Forschungsrahmenprogramms „Horizon Europe“ hat die EU High Level Strategy Group on industrial technologies in ihrem Report als Klammer über diese Schlüsseltechnologien drei große Cluster – Produktions-, Digital- und Cybertechnologien – definiert und die bestehenden KETs Werkstoffe und Nanotechnologie, sowie Mikro- /Nanoelektronik / Photonik zusammengeführt, zudem wurde der Schwerpunkt Biotechnologie zu Life-Science-Technologien ausgeweitet.[11]

Basierend auf den aktuellen Entwicklungen in Forschung und Innovation wurden Digitale Sicherheit und Konnektivität sowie Künstliche Intelligenz als neue KETs hinzugefügt. Innerhalb dieser KETs gibt es Crossover-Effekte, beispielsweise spielt gerade im Bereich der Künstlichen Intelligenz die Mikro- und Nanoelektronik eine wesentliche Rolle. Zudem sind Mikrochips ein zentraler Enabler für Digitalisierung. Daher stellen KETs die Grundlagen für Innovationen dar, die für die industriepolitische Entwicklung Österreichs zentral sind.

Durch die Schaffung innovationsstimulierender Synergien zwischen IPCEI und KETs könnte künftig mehr Gewicht auf eine höhere Output- und Wirkungsorientierung in Österreich gelegt werden, um in die Gruppe der führenden Innovationsnationen vorzustoßen. Nicht zuletzt können diese Synergien auch eine Rolle in Standortentscheidungen von Unternehmen spielen. Dazu ein Beispiel zur Setzung sektorübergreifender Wachstumsimpulse: am 30. November 2018 haben Frankreich, Deutschland, Italien und das Vereinigte Königreich der Kommission gemeinsam ein IPCEI zur Förderung von Forschung und Innovation im KETs-Bereich der Mikroelektronik notifiziert.[12]

Bei der Schlüsseltechnologie Mikroelektronik handelt es sich um kleine elektronische Bauelemente, die in der Regel aus Halbleitermaterialien wie Silizium bestehen und über komplexe Aufbau- und Verbindungstechnologien untereinander und mit anderen Bauelementen (z.B. Widerständen und Kapazitäten) verbunden werden. Die grundlegenden mikroelektronischen Bauteile, die gemeinhin als Mikrochips bezeichnet werden, kommen heute in fast allen elektronischen Geräten zum Einsatz. Die Förderung für dieses gemeinsame Vorhaben beträgt 1,75 Milliarden Euro, zusätzlich sollen weitere 6 Milliarden Euro an privaten Investitionen mobilisiert werden. Im Zuge dieses Vorhabens wird in Sachsen (Dresden) der vorhandene Mikroelektronik-Cluster weiter ausgebaut. Somit ist in Dresden die gesamte Wertschöpfungskette der Mikroelektronik vor Ort: vom Chipdesign über Hochvolumen-Waferproduktion und -verarbeitung bis hin zu einer breiten Zuliefer-, Dienstleister- und Anwenderindustrie. In Österreich wurde der Silicon Alps[13] Cluster mit mehr als über 100 Mitgliedern erfolgreich gegründet, die zusammen die gesamte Wertschöpfungskette abdecken.

Wie wichtig eine starke Förderung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse im Sinne der IPCEI für den globalen Wettbewerb ist, zeigt eine Studie[14] am Beispiel der KETs aus der Halbleiterindustrie. Der Studie zufolge haben von den weltweit fünfzehn größten Halbleiterherstellern acht Unternehmen ihren Firmensitz in den USA, vier in Asien und nur drei in Europa ― Infineon, NXP und ST Microelectronics (siehe Abbildung 1). Hinzu kommt AT&S als einziger Packaging-Hersteller in diesem sehr kleinen europäischen Umfeld. Es verbleibt somit nur wenig Expertise in Europa.

Abbildung 1: Top 15 der weltweit führenden Halbleiterunternehmen

Quelle: IC Insights (2018): Thirteen Top-15 1Q18 Semi Suppliers Register Double-Digit Gains, 15. Mai 2018; Online unter http://www.icinsights.com/data/articles/documents/1066.pdf

Die Studie zeigt auch, dass die zehn weltgrößten Halbleiterhersteller einen Marktanteil von 57 Prozent haben.[15] Dieser Anteil wird kontinuierlich größer; vor zehn Jahren betrug er noch 46 Prozent. Festzuhalten ist, dass es in diesem Zusammenhang nicht um einzelne Unternehmen geht, sondern um die vorhandene strategische Kompetenz in Europa.

Nicht nur für Europa, sondern speziell auch für Österreich wird es daher entscheidend sein, für die Zukunft die richtigen industriepolitischen Strategien zu nutzen – in einem aktiven Zusammenspiel der Mitgliedsländer mit den europäischen Institutionen. Denn wenn Österreich den Anspruch verfolgt, sich in der Welt des 21. Jahrhunderts im globalen Wettbewerb zu behaupten, müssen auch im Bereich der industriellen Forschung und Technologieentwicklung die richtigen Weichen gestellt werden. Entsprechende Schritte zur effizienteren Integration Österreichs in europäische Prozesse und Strukturen sind daher von großer strategischer Relevanz.


[1] Eurostat übernommen von COM(2017) 479, 13.9.2017.

[2] Rat für Forschung und Technologieentwicklung, Tätigkeitsbericht 2017, https://www.rat-fte.at/taetigkeitsberichte.html

[3] Statista, Europäische Union & Euro-Zone: Anzahl der Erwerbstätigen von 2007 bis 2017,

https://www.ots.at/redirect/statista2

[4] Mitteilung der Kommission – Kriterien für die Würdigung der Vereinbarkeit von staatlichen Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamen europäischem Interesse mit dem Binnenmarkt (2014/C 188/02), https://www.ots.at/redirect/eurlex2

[5] Ebd.

[6] Ebd.

[7] Rat der Europäischen Union, Vermerk 14217/18, November 2018.

[8] Current situation of key enabling technologies in Europe, SEK(2009) 1257.

[9] Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – „Eine europäische Strategie für Schlüsseltechnologien – Eine Brücke zu Wachstum und Beschäftigung“, (KOM(2012) 341 final vom 26.6.2012).

[10] Wiener Zeitung, EU-Schlüsseltechnologien – „Europa muss Stärke zeigen“, Interview mit Sabine Herlitschka, 13.08.2018.

[11] RE-FINDING INDUSTRY Report from the High-Level Strategy Group on Industrial Technologies. Conference Document published on 23 February 2018, https://era.gv.at/object/document/3992

[12] Europäische Kommission, EU genehmigt grenzübergreifende Milliardenförderung für Mikroelektronik,Pressemitteilung vom 18.12.2018, https://www.ots.at/redirect/mikroelektronik

[13] Silicon Alps, https://www.silicon-alps.at/

[14] IC Insights (2018): Thirteen Top-15 1Q18 Semi Suppliers Register Double-Digit Gains, 15. Mai 2018; Online unter http://www.icinsights.com/data/articles/documents/1066.pdf

[15] IC Insights (2018): Thirteen Top-15 1Q18 Semi Suppliers Register Double-Digit Gains, 15. Mai 2018; Online unter http://www.icinsights.com/data/articles/documents/1066.pdf

Rückfragen & Kontakt:

Rat für Forschung und Technologieentwicklung
DI Dr. Ludovit Garzik
Geschäftsführer des Rates für Forschung und Technologieentwicklung
+43 (0)1 713 1414
l.garzik@rat-fte.at
www.rat-fte.at

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Quelle

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