Familienausschuss: Aussprache mit ExpertInnen und Rückblick auf zehn Jahre Familienpolitik

Ausführliche Debatte über Vereinbarkeit, Kinderbetreuung, Väterbeteiligung und Armutsbekämpfung

Wien (PK) Rund 10% des österreichischen BIP kommen den Familien zugute, im Jahr 2019 wurden allein 3,5 Mrd. € für die Familienbeihilfe und 1,2 Mrd. € für das Kinderbetreuungsgeld aufgewendet. Ob die zahlreichen familien- und kinderbezogenen Leistungen auch wirklich ihr Ziel erreichen, einen effektiven Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie unterstützen oder für ein ausreichendes Kinderbetreuungsangebot sorgen, wurde heute im Familienausschuss im Rahmen eines Expertenhearings erörtert. Ausgangspunkt dafür war die Behandlung des 6. Familienberichts, der einen umfassenden Überblick über die Maßnahmen in diesem Bereich in den Jahren 2009 bis 2019 bietet.

Bundesministerin Susanne Raab zog eine sehr positive Bilanz und war überzeugt davon, dass sich die familienpolitischen Leistungen in Österreich auch im internationalen Vergleich sehen lassen können. Es handle sich beim Bericht um die wissenschaftliche Aufbereitung eines Politikfeldes, betonte Universitätsprofessor Wolfgang Mazal, der die Studie koordinierte; die Schlüsse daraus müsse die Politik ziehen. Der Bericht wurde schließlich einstimmig zur Kenntnis genommen und gilt somit als enderledigt (III-296 d.B.).

Raab: Familienpolitische Maßnahmen sind treffgenau und tragen zur Reduktion von Kinder- und Familienarmut bei

D ie Veröffentlichung des 6. Österreichischen Familienberichts, der auf knapp 1.200 Seiten ein umfassendes Nachschlagewerk darstellt, sei in eine besondere Zeit gefallen. Die Corona-Pandemie habe einmal mehr gezeigt, dass die Familien, die Enormes geleistet haben, die Eckpfeiler der Gesellschaft sind und sich einander in schwierigen Lebenslagen helfen.

Die österreichischen Familienleistungen können sich im internationalen Vergleich durchaus sehen lassen, allein im Jahr 2020 wurden 8 Mrd. € aus den Mitteln des FLAF finanziert. Der Bericht belege ihrer Meinung nach, dass die Maßnahmen treffsicher sind und einen wichtigen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten. So konnte in den letzten Jahren ein Rückgang bei der Armutsgefährdung festgestellt werden. Die Ministerin verwies sodann auf die familienpolitischen Meilensteine in den letzten Jahren und hob unter anderem die stufenweise Erhöhung der Familienbeihilfe oder den Familienbonus Plus hervor, der über 1,6 Millionen Kindern zugutekomme.

Ein besonderer Schwerpunkt der Familienpolitik im Berichtszeitraum war der Ausbau der Kinderbetreuung, in die zwischen 2008 und 2018 insgesamt 442,5 Mio. € geflossen sind. Seit Beginn der Ausbauoffensive habe sich die Zahl der betreuten unter 3-Jährigen mehr als verdoppelt. Bei den 3- bis 6-Jährigen wurde das Barcelona-Ziel, das eine Betreuungsquote von 90% definiert, bereits übertroffen. Dies sei vor allem vor dem Hintergrund der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein wichtiger Fortschritt.

Mazal: Bericht soll Reflexion anregen und Neugier wecken

Der Leiter des Österreichischen Instituts für Familienforschung Universitätsprofessor Wolfgang Mazal, der den Abgeordneten in seiner Funktion als wissenschaftlicher Koordinator des Familienberichts zur Verfügung stand, präsentierte einige Eckpunkte der Studie. In den einzelnen Kapiteln werden etwa die Themen Verteilungswirkung der familienpolitischen Leistungen, Armutsgefährdung, Gewalt in der Familie, Kinderbildung- und -betreuung, geschlechtsspezifische Rollen oder Kinderwunsch und dessen Realisierung von ausgewiesenen ExpertInnen behandelt. Generell könne man deutlich sehen, dass die Erwartungen an die Familie äußerst hoch sind; dies sei der Ort, wo man sich geborgen und aufgehoben fühle. Ausgehend von einem offenen Familienbegriff, der auf die personale Verantwortung abzielt, seien enorm vielfältige Lebensmodelle feststellbar, wobei vor allem die Ein-Eltern-Familien, die Lebensgemeinschaften und die unehelichen Geburten sehr stark zugenommen haben. Die Geburtenrate betrage rund 1,5 Kinder pro Frau (zwischen 15 und 45 Jahren), informierte Mazal, gleichzeitig steige die Lebenserwartung der Menschen.

Was die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. die „Work-Family-Balance“ angeht, so nehmen zunehmend Männer einen Konflikt in diesem Bereich wahr. Hier seien aber auch Veränderungen in den Unternehmen notwendig, da es oft Probleme in der Praxis gebe, die gesetzlichen Möglichkeiten zu leben. Eine positive Entwicklung ortete Mazal bei der Kinderbetreuung, zumal sich die Quote bei den unter 3-Jährigen in den letzten zehn Jahren verdoppelt habe. Auch der Generationenzusammenhalt sei in Österreich sehr hoch, ca. drei Viertel der Menschen haben einmal pro Woche Kontakt zu ihren Eltern.

Lugert für Stärkung der Partnerschaftlichkeit und Entschärfung der Pensionsnachteile durch Kinderbetreuungszeiten

Bei den finanziellen Familienleistungen sei Österreich sehr gut aufgestellt und rangiere unter den drei besten Ländern in Europa, konstatierte Alexandra Lugert (Österreichischer Familienbund). Dazu hätten die vielen Maßnahmen beigetragen, die in den letzten Jahren beschlossen wurden, wie etwa die steuerliche Entlastung durch den Familienbonus Plus, die Leistungen aus dem Familienhärtefonds oder die Sonderzahlung zur Familienbeihilfe. Gerade die Corona-Krise habe gezeigt, dass der FLAF gut dotiert sein müsse und nicht durch Kürzungen geschwächt werden soll. Lugert hielt es für wichtig, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Lebensmodelle einzugehen und etwa im Bereich der Kinderbetreuung eine Wahlfreiheit zu gewährleisten. Dadurch würde auch der Mut der Menschen gestärkt, ihre Kinderwünsche zu realisieren. Außerdem brauche es ein gutes Karenzmanagement, eine Stärkung der Partnerschaftlichkeit sowie eine Entschärfung der Pensionsnachteile. Dazu zählten etwa das Pensionssplitting oder eine Aufwertung der familienbedingten Teilzeitarbeit, stellte Lugert gegenüber der Abgeordneten Gudrun Kugler (ÖVP) fest. Es sollte viel mehr Männern ermöglicht werden, eine aktive Rolle im Leben ihrer Kinder zu spielen; dafür könnten spezielle Programme entwickelt werden. Außerdem wünschte sich Lugert von der Politik eine Erhöhung des Familienbonus auf 1.750 € sowie des Kindermehrbetrags auf 350 €.

Glassner tritt für eine stärkere Forcierung von Sachleistungen ein  

Familienpolitik müsse auf gesellschaftspolitische Veränderungen reagieren, war Vera Glassner (Leiterin der Abteilung Frauen und Familie in der Arbeiterkammer Wien) überzeugt. Die hohe Teilzeitbeschäftigungsquote von Frauen in Österreich zeige, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie noch immer große Probleme verursache. Damit verbunden seien negative Effekte in Bezug auf die Entlohnung sowie auf die Höhe der Pensionen, gab sie bedenken. Wichtige Ansatzpunkte dafür wären die Stärkung der Väterbeteiligung sowie eine gerechtere Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit. Als positiv wertete sie den Ausbau der Zahl an Kinderbetreuungsplätzen, wobei jedoch auf die Qualität und die Öffnungszeiten geachtet werden müsse. Ein wenig zu kurz gekommen sei ihr im Bericht die Situation der Alleinerziehenden und Ein-Eltern-Familien, die ein eigenes Kapitel wert gewesen wäre. Die Bedürfnisse dieser Gruppe, die überproportional von Armut betroffen sei, seien sehr spezifisch, bekräftigte sie gegenüber Abgeordneter Petra Wimmer (SPÖ). Glassner befürchtete zudem eine Zunahme der Kinderarmut im letzten Jahr. Forciert werden müssten die frühen Hilfen, die aufsuchende Sozialarbeit sowie die psychotherapeutischen Angebote für Kinder und Jugendliche. Bei den familienpolitischen Maßnahmen trat sie dafür ein, dass es eine gewisse Umschichtung hin zu den Sachleistungen gibt, das der Anteil der Geldleistungen einer der höchsten innerhalb der OECD-Staaten sei. Es gebe auch generell einen Wunsch nach weniger Arbeitszeit, weshalb Elternteilzeitmodelle unterstützt werden sollten.

Danhel übt Kritik an der Gestaltung des Berichts und schlägt eine Reihe von Änderungen vor

Günter Danhel, ehemaliger Direktor des Instituts für Ehe und Familie (IEF), kritisierte am Bericht, dass er streckenweise bloße Analysen und Beschreibungen enthalte und dass ihm die Auswahl der Themen etwas willkürlich erscheine. Er erwecke zudem den Eindruck, dass damit manche Einzelmaßnahmen der Vergangenheit gerechtfertigt werden sollen. Auch dem Charakter von Familienpolitik als Querschnittsmaterie werde im Bericht nur teilweise Rechnung getragen. Familien sollten jedoch aus seiner Sicht als leistungsstarkes System, als Subjekte mit eigener Würde und Werten und daraus resultierenden Freiheits- und Mitbestimmungsrechten in den Blick genommen werden. Dazu zählten etwa Überlegungen zur Einführung eines Familienstimmrechts. Familienleistungen wie Betreuung, Erziehung und Pflege erfolgen im Interesse der gesamten Gesellschaft und sollten daher im Transfer- und Steuerrecht ihren Niederschlag finden, forderte Danhel. Deswegen müsste auch der Familienlasten- zu einem Familienleistungsausgleich ausgebaut werden. Um Wohlfahrts- und Kaufkraftverluste zu vermeiden, sollten die monetären Unterstützungen regelmäßig angepasst werden. Bei der Kinderbetreuung wiederum müssen Kostenwahrheit und Wahlfreiheit stärker berücksichtigt werden. Aus seiner Sicht könnte auch das Thema Vereinbarkeit insofern neu gedacht werden, als es mehr ein Nacheinander von Beruf und Familie geben könnte. 

Fenninger: Jedes fünfte Kind in Österreich ist armutsgefährdet

Erich Fenninger von der Volkshilfe Wien konzentrierte sich in seinem Statement auf das Kapitel Kinderarmut. In Österreich sei jedes fünfte Kind armuts- und ausgrenzungsgefährdet, wobei das letzte Jahr die Situation noch deutlich verschärft habe. Befragungen während der Corona-Krise hätten ergeben, dass sich 61% der Kinder einsamer und mehr als 50% trauriger fühlen als vorher. Wenn in einem der reichsten Länder der Welt rund 350.000 Kinder und Jugendliche von Armut betroffen sind, dann sollte sich die Politik entsprechende Maßnahmen überlegen. Armut habe nämlich auf alle Bereiche des Lebens massive Auswirkungen, auf die Bildungschancen, die Gesundheit, die beruflichen Perspektiven, die soziale Teilhabe etc. Besonders Alleinerziehende und Mehrkindfamilien haben das größte Risiko, in Armut zu geraten. Als mögliche Lösung schlug Fenninger das Modell der Volkshilfe zur Kindergrundsicherung vor, das bereits in der Praxis erprobt wurde. Das Feedback sei sehr positiv, da viel Druck und Stress bei den Betroffenen wegfalle und sich etwa auch die Fehlzeiten in den Schulen verringert und die Noten verbessert haben. Das Modell würde in der vollen Variante, wo es einen Ersatz alle Transferleistungen bietet, etwa 2 Mrd. € kosten. Seiner Meinung nach fehle es zudem noch an einer Gleichstellung von LGBTIQ-Familien in Bezug auf die soziale Absicherung.

Köppl-Turyna: Starke Korrelation zwischen Vollbeschäftigung der Mütter und Öffnungszeiten der Kinderbetreuungseinrichtungen

Über den volkswirtschaftlichen und persönlichen Wert der Kinderbetreuung referierte Monika Köppl-Turyna, Direktorin von EcoAustria. Auch wenn bei der Kinderbetreuung eine Reihe von Fortschritten erzielt wurden, gebe es noch Nachholbedarf bei der Gruppe der unter 3-Jährigen, wo Österreich mit 23% unter dem EU-Durchschnitt von 35% liege. Gleichzeitig üben knapp die Hälfte der Frauen eine Teilzeitbeschäftigung aus, wobei in vielen Fällen als Grund der Mangel an Betreuungsplätzen angegeben wird. Laut einer Studie gebe es aber einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Ausbau der Elementarpädagogik und der Arbeitsmarktbeteiligung der Mütter. Besonders würden davon Alleinerziehende und benachteiligte Familien profitieren. Wichtig sei zudem, auf die Erschwinglichkeit der Betreuung zu achten und die Sicherstellung von Öffnungszeiten, die einen Vollerwerb ermöglichen. Um auch die Kosten nicht wesentlich steigern zu müssen, schlug Köppl-Turyna Kooperationen zwischen kleineren Kommunen und Anreize in der Finanzierung, insbesondere im Finanzausgleich vor. Interessant sei zudem die Tatsache, dass Kinder noch Jahrzehnte danach davon profitieren, wenn sie in Betreuungseinrichtungen waren und dass dieser Effekt sogar der nächsten Generation weitergegeben werden kann.

Abgeordnete Edith Mühlberghuber (FPÖ) betonte noch einmal, dass der FLAF ausreichend Mittel für die Kernaufgaben zur Verfügung habe und nachhaltig abgesichert werden müsse. Die Corona-Krise habe einige Probleme verstärkt, konstatierte Abgeordnete Barbara Neßler (Grüne), es müssen daher noch einige Lücken geschlossen und etwa eine aktuelle Kinderkosten-Studie vorgelegt werden. Abgeordneter Michael Bernhard (NEOS) zeigte sich nicht ganz so begeistert vom Status der Familienpolitik, zumal die Betreuungsquote bei den unter 3-Jährigen im europäischen Vergleich sehr niedrig sei. SPÖ-Abgeordnete Eva Maria Holzleitner setzte sich für eine Unterhaltsgarantie sowie für eine Gleichstellung von „Regenbogenfamilien“ ein. (Fortsetzung Familienausschuss) sue


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