Heimopferrenten: Hearing im Sozialausschuss zu geplanter Gesetzesnovelle

Kreis der Anspruchsberechtigten soll ausgeweitet werden

Wien (PK) - Noch vor dem Sommer wollen die Abgeordneten einige Lücken im Heimopferrentengesetz schließen. Unter anderem sollen auch Personen, die als Kinder oder Jugendliche in Krankenanstalten, Psychiatrieeinrichtungen oder in privat geführten Kinderheimen schwer misshandelt wurden, Anspruch auf die im vergangenen Jahr beschlossene Zusatzrente von 300 € erhalten. Damit könnten etwa auch Opfer der so genannten "Malariatherapie" umfasst werden. Allerdings sind vor der Beschlussfassung noch einige Fragen zu klären. Der Sozialausschuss hat daher Mitte Mai die Durchführung eines Begutachtungsverfahrens zum gemeinsamen Fünf-Parteien-Antrag beschlossen. Heute fand im Ausschuss überdies ein öffentliches Hearing mit Betroffenen und ExpertInnen statt.

Um welche Fälle es etwa gehen könnte, erschloss sich aus den Schilderungen von Willi-Klaus Benesch, der als Kind an Knochen-TBC erkrankt war und aus diesem Grund im September 1950 in eine spezielle Heilstätte eingewiesen wurde, wo er bis Ende Mai 1953 bleiben musste. Während dieser Zeit ist er mehr als zehn Mal operiert worden. Medizinisch habe er Dank des intensiven Einsatzes der Ärzte, auch US-amerikanischer Mediziner, überlebt, erzählte Benesch. Was entsetzlich gewesen sei und immer noch zu Alpträumen führe, sei das Verhalten der Pflegerinnen in der Heilstätte.

Benesch berichtete etwa, dass ihm erbrochenes Essen immer wieder zwangsweise eingelöffelt wurde, die Hände dabei ans Bett gefesselt. Auch zu sexuellen Übergriffen sei es gekommen. Überstanden habe er die Zeit nur, weil seine Mutter ihm regelmäßig Bücher zum Lesen brachte. Trotz seiner aus der Erkrankung resultierenden Behinderung habe er dann von seinem 20. bis zu seinem 68. Lebensjahr gearbeitet. In der Stadt Wien habe sich nie jemand darum gekümmert, wie er als Kind behandelt wurde, beklagte Benesch.

Experten drängen auf raschen Gesetzesbeschluss

Unterstrichen wurden die Schilderungen Beneschs von Rechtsanwalt Johannes Öhlböck und Oliver Scheiber von der Rentenkommission der Volksanwaltschaft. Benesch sei kein extremer Einzelfall, vielmehr sei es regelmäßig zu den geschilderten Demütigungen und Quälereien gekommen, betonte Scheiber. Er begrüßte es daher ausdrücklich, dass die Anregungen der Volksanwaltschaft parteiübergreifend aufgegriffen wurden und künftig auch Heilanstalten und private Kinderheime vom Gesetz umfasst werden sollen.

Für wichtig halten Scheiber und Udo Jesionek (Präsident Weisser Ring) einen raschen Gesetzesbeschluss. Viele Opfer seien sehr alt und gebrechlich, gab Jesionek zu bedenken, der sich seinen Angaben zufolge in den letzten Jahren mit über 4.000 Opferschicksalen befasst hat. Es sei unvorstellbar, was Kindern und Jugendlichen untergekommen sei und zu welchen Taten ErzieherInnen und Geistliche fähig gewesen seien, meinte er. Laut Scheiber sind bereits sieben AntragstellerInnen während ihres bei der Rentenkommission laufenden Verfahrens verstorben. Die Zahl der insgesamt bei der Kommission anhängigen Fälle gab er mit rund 700 an.

Sollte der Betroffenenkreis wie geplant ausgeweitet werden, rechnet die Volksanwalschaft laut Scheiber mit ein paar hundert zusätzlichen Anträgen, wobei die Zahl der potentiellen Fälle im 1000er-Bereich geschätzt wird. Bisher wurden ihm zufolge in rund 90 Fällen Angaben zu Misshandlungen in Krankenanstalten gemacht, endgültig abgelehnt wurden aus diesem Grund drei Anträge. Viele Betroffene hätten aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage allerdings keinen Antrag gestellt, einige seien auch doppelte Opfer gewesen und auch in Heimen misshandelt worden.

Verjährungsfristen bei schwerem sexuellem Missbrauch Minderjähriger abschaffen

Laut Rechtsanwalt Johannes Öhlböck, der seit 2011 Missbrauchsopfer begleitet und mit rund 150 Heimopfern Gespräche geführt hat, sind in den 50er- und 60er-Jahren rund 750 Kinder und Jugendliche mit der zweifelhaften Methode der Malariatherapie behandelt worden. Er hält es nicht nur für notwendig, diese Personengruppe in das Heimopferrentengesetz einzubeziehen, es stehe auch eine Entschuldigung bei den Opfern auf Augenhöhe aus. Wichtig im Sinne der Opfer wäre es nach Meinung von Öhlböck außerdem, zivil- und strafrechtliche Verjährungsfristen bei schwerem sexuellen Missbrauch Minderjähriger abzuschaffen und Heimopfern wieder Zugang zu Entschädigungen nach dem Verbrechensopfergesetz zu gewähren. Für letzteres plädierte auch der Psychologe Hubert Steger, auch wenn er, wie er sagte, den Eindruck habe, dass bei der Bewertung der kausalen Folgen seinerzeitiger Misshandlungen "massiv gemauert wird".

Man müsse sich vor Augen führen, dass es um Personen geht, die als Kinder und Jugendliche geschützt werden hätten sollen, denen aber massive Schädigungen zugefügt wurden, meinte Steger, der seit 2010 für die Männerberatungsstelle Wien arbeitet. Die Betroffenen seien zum Teil wie eine Ware behandelt worden. Je nach Resilienz seien die Folgen aber unterschiedlich gewesen, insofern handle es sich um eine sehr heterogene Gruppe, auch was die spätere Berufskarriere betrifft. Schädigungen würden oftmals aber auch erst sehr spät zu Tage treten.

Einfacher Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung ist wichtig

In diesem Zusammenhang wiesen nicht nur Steger, sondern auch andere ExpertInnen auf die Bedeutung eines einfachen Zugangs zu psychotherapeutischer Behandlung hin. Geldleistungen seien nur ein Teil, was es ebenfalls brauche, sei eine therapeutische Unterstützung von Personen, wenn im Alter die Geschehnisse von früher wieder hochkommen, hielt etwa Brigitte Dörr fest, die nicht nur Mitglied der Rentenkommission der Volksanwaltschaft, sondern auch für eine kirchliche Opfereinrichtung tätig ist. Derzeit gebe es für eine stationäre Behandlung von TraumapatientInnen Wartezeiten von bis zu zwei Jahren, gab der Psychotherapeut Thomas Wenzel (MedUni Wien) zu bedenken. Er warnte außerdem vor einer "sekundären Viktimierung" der Heimopfer durch unsensible und unzureichende Begutachtungen im Zuge von Entschädigungs- und Rentenverfahren.

Generell bedankte sich Wenzel für den Einsatz der Politik für die Heimopfer. Seiner Meinung nach ist es für die Opfer aus Sicht der Trauma-Forschung wichtig, wie die Gesellschaft mit den Ereignissen der Vergangenheit umgeht. Auch für den von der nunmehrigen Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures initiierten Staatsakt "Geste der Verantwortung" gab es seitens der ExpertInnen mehrfach Lob.

Von den Abgeordneten gefragt, ob es außer der Malariatherapie noch zu anderen systematischen Fehlbehandlungen gekommen sei, berichtete Öhlböck, dass seine KlientInnen wiederholt von falschen medikamentösen Behandlungen in der "Klinik Hoff" und Elektroschocktherapien berichtet haben. Dieser ganze Komplex sei noch nicht ausreichend untersucht, merkte er an. Wenzel warnte allerdings davor, damalige "State of the Art-Behandlungen"  mit systematischen Misshandlungen in einen Topf zu werfen.

Hofer: Nicht auf behinderte Heimopfer vergessen

Behindertenanwalt Hansjörg Hofer plädierte dafür, bei der Novellierung des Gesetzes nicht auf Heimopfer mit Behinderungen zu vergessen, die nie arbeitsfähig waren. Und zwar unabhängig davon, ob die Behinderung schon vor dem Heimaufenthalt vorhanden gewesen sei oder durch diesen verursacht wurde. Da sie aufgrund fehlender Beitragszeiten niemals Anspruch auf eine Invaliditätspension erhalten und ihnen auch nicht immer eine Mindestsicherung zusteht, etwa wenn sie mit anderen Personen in einem Haushalt leben, müssten sie auch künftig bis zum Regelpensionsalter auf die Zusatzrente warten. Es gehe nur um eine kleine Zahl von Fällen, erklärte er.

Wiederholt gefordert wurde im Hearing auch die Möglichkeit von Feststellungsbescheiden, wie sie im Antrag vorgesehen ist. Damit könnten Personen, die das Pensionsalter noch nicht erreicht haben, schon vorab eine Opferrente beantragen, die dann mit Pensionsantritt ausgezahlt wird. Wer weiß, ob in 10 oder 20 Jahren noch Akten und andere Unterlagen vorhanden sind, meinte etwa Romana Schwab vom Verein ehemalige Heim- und Pflegekinder. Zudem drohe eine Retraumatisierung, müssten die seinerzeitigen Geschehnisse neuerlich aus dem Gedächtnis geholt werden. Ähnlich argumentierten auch Scheiber und Jesionek. Schwab drängte außerdem darauf, auch MindestsicherungsbezieherInnen, die dauerhaft arbeitsunfähig sind, Anspruch auf die Zusatzrente zuzuerkennen.

Gesetzliche Bestimmungen sollen leicht vollziehbar sein

Nicht ganz einer Meinung waren sich die ExpertInnen, ob die Rentenkommission der Volksanwaltschaft nur subsidiär zu den in den Bundesländern eingerichteten Opferschutzstellen tätig werden soll oder ob es sich die Betroffenen aussuchen können sollen, an wen sie sich wenden. Während etwa Betroffenen-Vertreterin Schwab für letzteres plädierte, gab Dörr zu bedenken, dass die Opferschutzstellen besondere Expertise darin haben, die Angaben der Opfer zu überprüfen. Es sei nicht nur einmal vorgekommen, dass Personen falsche Angaben gemacht haben, sagte sie, wobei sie gemäß ihren Erfahrungen von einer Quote von 5% bis 7% ausgeht. Zudem fragt sie sich, was passiert, wenn sich jemand zuerst bei der Rentenkommission der Volksanwaltschaft um eine Zusatzrente bemüht und sich erst einige Zeit später wegen einer Entschädigung an eine Opferschutzstelle wendet und beide zu unterschiedlichen Bewertungen des Falls kommen.

Wichtig ist Dörr jedenfalls, dass das Gesetz klare Vorgaben und keine schwammigen Begriffe enthält. Auch Jesionek ist es ein Anliegen, dass die gesetzlichen Bestimmungen möglichst leicht zu vollziehen sind.

Anträge werden mehrfach auf Plausibilität geprüft

Auf Nachfrage der Abgeordneten unterstrich Scheiber, dass die Rentenkommission der Volksanwaltschaft Anträge mehrfach auf ihre Nachvollziehbarkeit und Plausibilität prüfe. Grundsätzlich seien die meisten Fälle gut durch Akten des Jugendamts dokumentiert, hielt er fest. Nur in ganz wenigen Fällen seien bisher keine Unterlagen vorgelegen. Im Übrigen wiederholten sich die verdächtigen Einrichtungen und Personen.

Zusätzlich zu den vorliegenden Unterlagen würden überdies Gespräche von Clearing-ExpertInnen mit den Betroffenen geführt. Die Qualität der erstellten Gutachten sei aufgrund der Vielzahl der beigezogenen PsychologInnen nicht immer gleich, räumte er ein, man habe aber einen guten Standard erreicht.

PVA hat bisher 1.700 Heimopferrenten zuerkannt

Von Seiten der Abgeordneten meinte Michael Hammer (ÖVP), der Fall Benesch habe gezeigt, wie wichtig es sei, das Heimopferrentengesetz zu erweitern. Man müsse alles daran setzen, dass niemand durch die Finger schaue, hielt auch Daniela Holzinger-Vogtenhuber (PILZ) fest. Ihrer Ansicht nach braucht es außerdem eine Lösung für Personen, die im Alter pflegebedürftig werden und traumatisch darauf reagierten, wieder Pflegepersonen ausgeliefert zu sein.

Man könne nur hoffen, dass sich solche Fälle wie jener von Benesch nicht wiederholen, sagte Dagmar Belakowitsch (FPÖ). Die Zusatzrente von 300 € ist für sie nur ein symbolischer Betrag, ein Ausgleich für das erlittene Leid sei nicht möglich. Alois Stöger (SPÖ) warnte davor, Verfahren zu stark zu Lasten der Opfer zu verbürokratisieren - er glaubt, dass die Zahl der TrittbrettfahrerInnen klein ist.

Laut Sozialministerin Beate Hartinger-Klein sind bei der Pensionsversicherungsanstalt bislang 2.680 Anträge auf eine Heimopferrente gestellt worden, 1.700 Renten wurden bisher zuerkannt.

Der Beratungen über den Antrag ( 216/A) wurden nach dem Hearing einstimmig vertagt. Das dazu eingeleitete Begutachtungsverfahren läuft noch bis zum 8. Juni, erste Stellungnahmen sind bereits eingelangt. Er werde sich um einen raschen Abschluss der parlamentarischen Beratungen bemühen, versicherte Ausschussvorsitzender Josef Muchitsch. (Fortsetzung Sozialausschuss) gs

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