Lebenshilfe: Offener Brief Sozialhilfegrundsatzgesetz | Lebenshilfe Österreich, 02.04.2019

Lebenshilfe Österreich kritisiert Sozialhilfegrundsatzgesetz und appelliert an die Abgeordneten des Parlaments und der Landtage den Entwurfes grundlegend zu überarbeiten

Wien (OTS)

Sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat,
sehr geehrte Abgeordnete zum Bundesrat

Sehr geehrte Mitglieder der Landesregierungen,
sehr geehrte Abgeordnete der Landtage!

Als Wegbegleiterin von Menschen mit Behinderungen sehen wir uns gezwungen, auf die negativen Folgen des geplanten Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes für alle Österreicherinnen und Österreicher hinzuweisen. Wir tun dies heute mit diesem Offenen Brief mit dem dringenden Appell an Sie, Ihren politischen Handlungsspielraum dafür zu nutzen, ein Gesetz zu schaffen, das Menschen vor Armut schützt.

Grundsätzlich gilt für die Lebenshilfe: Wenn wir uns für Inklusion einsetzen, bedeutet dies gleichzeitig, dass wir uns für die Inklusion aller Menschen einsetzen – für gleiche Lebenschancen und gerechte Verteilung von Lebensperspektiven.

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz bringt viele Menschen in größte Schwierigkeiten. Wir rechnen dies am Beispiel Tirol vor: Aktuell bekommen etwa volljährige Alleinstehende oder Alleinerziehende in Tirol für den Lebensunterhalt (nach Abzug der Wohnkostenpauschale) 75 %, in Zukunft nur mehr 60 % der Ausgleichszulage für den Lebensunterhalt. In Euro ausgedrückt: Statt bisher € 664,10 müssen diese Personen in Zukunft mit € 531,28 auskommen. Generell stehen für den Lebensunterhalt € 132,82 weniger zur Verfügung. Darüber hinaus werden die bestehenden Sonderzahlungen aufgelöst.

Die Kürzung des Lebensunterhalts betrifft viele Menschen, die 2018 Mindestsicherung bezogen haben. Bei den Bezieherinnen und Beziehern handelt sich vorwiegend um Kinder und Jugendliche bzw. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihr niederes Einkommen aufstocken müssen.

Was hat es zu bedeuten, dass die Vermeidung von Armut als Zielsetzung herausgenommen wurde? Finden Sie es zielführend, wenn das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz Höchstsätze vorsieht, aber keine Mindeststandards? Was sagen Sie dazu, dass vor allem Frauen durch die Anrechnung des Partnereinkommens benachteiligt werden? Wie sinnvoll ist es langfristig, keine Kooperationsabkommen mit dem AMS und dessen Qualifizierungs-, Beratungs- und Beschäftigungsmaßnahmen vorzusehen, und so Langzeitarbeitslosen die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt quasi zu verunmöglichen? Haben Sie die Folgekosten dieser Maßnahmen berechnet? Ist das nicht Sparen am falschen Fleck?

Menschen mit Behinderungen
Menschen mit Behinderungen verlieren genauso. Ihr Lebensunterhalt wird bei Berücksichtigung der Sonderzahlungen im ersten Schritt um rund € 160 gekürzt. In einem zweiten Schritt wird der vielzitierte, vermeintliche „Bonus“ draufgeschlagen, der zugegebenermaßen für Alleinstehende/-erziehende aktuell den Status quo erhält. Noch. Aktuell sehen wir allerdings leider wenig Anlass zu vertrauen, dass Boni seitens der Bundesregierung nicht auch im Handumdrehen wieder gekürzt werden können.

Nach Art 28 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) haben Betroffene das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard. Die erste Staatenprüfung Österreichs hat klar ergeben, dass es aufgrund unserer föderalistischen Strukturen nicht zu unterschiedlichen Standards bei der Bereitstellung sozialer Leistungen kommen darf. Leider sieht das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz keine bundeseinheitlichen Standards vor. Vielmehr hängt es an den jeweiligen Landesgesetzgebern den – im Vergleich zu anderen Personengruppen großen – Spielraum für Menschen mit Behinderungen zu nutzen.

Folgend eine Aufzählung weiterer Kritikpunkte:

  • Menschen in Wohngemeinschaften: Sie erhalten für den Lebensunterhalt weniger Geld als Alleinstehende. Diese Regelung betrifft auch Menschen mit Behinderungen, sofern für sie in der Landesgesetzgebung keine besonderen Regelungen (§ 2 Abs. 4) getroffen werden. Das heißt, die Umsetzung des Rechts auf selbständige Lebensführung, das in der UN-BRK verankert ist, ist im Sozialhilfe-Grundsatzgesetz viel zu vage formuliert (§ 5 Abs 2). Es obliegt den Ländern, diese gesetzlich vorgesehen Standards durch ihre Gesetzgebung abzusichern. Das widerspricht den Empfehlungen der 1. Staatenprüfung.
  • Bonus für Menschen mit Behinderungen: Obwohl der Bonus jetzt allen Menschen mit Behinderungen zusteht, kann (sic!) der Bonus für einen Teil (sic!) der Bezugsberechtigten von anteiligen Kürzungen ausgenommen werden (§ 5 Abs. 4, letzter Satz). Nach unserem Verständnis erhalten damit z.B. minderjährige Kinder mit Behinderungen keinen Bonus.
  • Klage auf Unterhalt gegen die Eltern: Gerade Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf erlangen oftmals nicht die Selbsterhaltungsfähigkeit nach § 231 ABGB. Damit bleiben die Eltern ein Leben lang für sie unterhaltspflichtig bzw. Erwachsene mit Behinderungen in der Rolle eines Kindes. Die eigenen Eltern zu klagen bedeutet wohl für jeden Menschen eine enorme Belastung. Meist wird davon abgesehen, was zur Folge hat, dass keine Sozialhilfe bezogen werden kann (§ 7 Abs 2).
  • Vermögensanrechnung: Der in § 7 Abs 8 vorgesehene Freibetrag in Höhe von ca. € 5.200 ist viel zu gering, um die oft hohen Kosten für Hilfsmittel etc. über einen langen Zeitraum ansparen.

Unser Fazit
Es wäre ein Armutszeugnis, wenn das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz im Nationalrat beschlossen wird. Fachliche Expertise und gemeinsame Vereinbarungen mutwillig zu umgehen ist eine Vorgehensweise, die auf keinen Fall Schule machen darf. Und nicht zuletzt sind die Argumente der Bundesregierung eine Augenauswischerei.

Wir fordern: Zurück an den Start.

Wir bitten Sie daher dringend um Ihre Unterstützung, damit die Menschen in Österreich vor Armut geschützt bleiben. Konkret appellieren wir an Sie, sehr geehrte Abgeordnete zum Nationalrat bzw. zum Bundesrat, gegen dieses Gesetz zu stimmen.

An die Mitglieder der Landesregierungen und an die Abgeordnete zu den Landtagen appellieren wir, sich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten dafür einzusetzen, dass das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz grundlegend überarbeitet wird.

Sollte es trotz Ihrer Unterstützung beschlossen werden, ersuchen wir Sie schon jetzt dafür auf Landesebene zu sorgen, dass der eingeräumte Spielraum im Sinne der Teilhabe aller Menschen genützt wird. Konkret bedeutet das unter anderem, dass Menschen mit Behinderungen in Wohngemeinschaften für ihren Lebensunterhalt neben dem „Bonus“ den Höchstsatz einer alleinstehenden bzw. alleinerziehenden Person bekommen. Darüber hinaus ist es dringend erforderlich, Geldleistungen an Menschen mit Behinderungen von anteiligen Kürzungen auszunehmen (§ 5 Abs 4).

Rückfragen & Kontakt:

Albert Brandstätter
Generalsekretär
Lebenshilfe Österreich
Favoritenstraße 11/10
1100 Wien
gs@Lebenshilfe.at
t: 018122642

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Quelle

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