Neue ÖIF-Publikation „Perspektiven Integration“: Expert/innen zu aktuellen Herausforderungen an Brennpunktschulen

Einschätzungen von Direktor/innen Klar und Walach, „Teach for Austria“-Gründer Emberger, Frauenrechtlerin Ramadani, Autorin Tekkal, „Das Biber“-Reporterin Erkurt und Lehrerin El-Sonbati

Wien (OTS) Aktuelle Integrationsherausforderungen im Bildungssystem und im Schulalltag beleuchtet die neue Ausgabe der Interviewreihe „Perspektiven Integration“ des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF). Einschätzungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln liefern Düzen Tekkal (Journalistin und Bestseller-Autorin), Christian Klar und Andrea Walach (Direktor/innen von Neuen Mittelschulen in Wien Floridsdorf und Favoriten), Zana Ramadani (Frauenrechtlerin und Autorin), Jasmin El-Sonbati (Gymnasiallehrerin und Gründerin der „Offenen Moschee Schweiz“), Melisa Erkurt („Das Biber“-Reporterin und Sonderpreisträgerin des Journalistenpreis Integration 2016 für das Schülerprojekt „Newcomer“ an Wiener Brennpunktschulen) und Walter Emberger (Gründer der Initiative „Teach for Austria“).

Klar: „Viele Kinder leben nur in ihren eigenen Communitys“

Als Direktor einer sogenannten „Brennpunktschule“ in Wien sieht Christian Klar massive sprachliche Herausforderungen: „Oft kommen Kinder in die Schule, die hier geboren sind und nicht mehr als fünf Wörter Deutsch können.“ Deutschlernklassen vor Schuleintritt befürwortet er deshalb klar. Auch kulturelle Konflikte schlagen sich im Schulalltag nieder: „Viele Kinder leben nur in ihrer eigenen Community. Da wird streng getrennt zwischen den unterschiedlichen Nationalitäten, Volksgruppen und Religionen.“ Derartigen problematischen Entwicklungen gelte es entschieden entgegenzutreten: „An meiner Schule tolerieren wir keine Form von Rassismus und Ausgrenzung, egal, ob rechter, religiöser oder nationalistischer Rassismus. Solches Verhalten wird natürlich besprochen und hat Konsequenzen“, so Klar. Dafür vermittle man permanent die Regeln und Grundwerte des Miteinanders, die für alle Schüler/innen verbindlich sind.    

Tekkal: „Vermittlung von Wissen steht über Kultur und Religion“

Die Akzeptanz von Grundwerten wie etwa Gleichberechtigung oder auch das Recht auf Bildung müsse stärker durch die Gesellschaft eingefordert werden, betont die deutsche Journalistin und Bestseller-Autorin Düzen Tekkal: „Wenn jemand seine Tochter nicht zum Schulausflug schickt, verstößt er vielleicht nicht gegen das Gesetz, er ist aber auch nicht integriert. Es braucht hier mehr Konsequenz seitens Staat und Gesellschaft. Wir müssen klarmachen, dass bei uns andere Regeln gelten. Dass die Vermittlung von Wissen über allem steht – über der Kultur und ganz sicher über der Religion.“ Dafür müsse man – besonders bei der Integration muslimischer Mädchen – zuerst bei den Eltern ansetzen und deutlich machen, wie zentral Bildung für den weiteren Lebensweg ihrer Kinder ist: „Bildung führt zu einer Form von Freiheit, Bildung kann emanzipieren. Dabei sollten alle Kinder dieselben Chancen haben und diese müssen wir ihnen ermöglichen.“

Walach: „Es braucht Sanktionen für Eltern, die Bildungserfolg behindern“

Wie entscheidend die Rolle der Eltern für den Bildungserfolg von Kindern ist, weiß auch NMS-Direktorin Andrea Walach: „Der Grundstein für die Bildung wird im familiären Umfeld gelegt. Wenn Eltern allerdings ihre Kinder in ihrer Entwicklung behindern, wird der Bildungserfolg gering ausfallen.“ Die Pädagogin erlebt seit Längerem eine zunehmende Bildungsfeindlichkeit unter Eltern. Religiöse Vorschriften hätten oft Vorrang, Bildung wird hintangestellt: „Besonders die Mädchen werden dadurch benachteiligt. Sie dürfen nicht auf Projektwoche mitfahren oder am Schwimmunterricht teilnehmen. Wir fordern das aber ein, das ist schließlich Teil des Lehrplans und zum Wohl der Kinder. Es braucht hier mehr Konsequenz: Wenn Eltern den Schulbesuch ihrer Kinder behindern, dann müssen Sanktionen für die Eltern folgen“, fordert Walach.

Ramadani: „Kopftuchverbot in Schulen wichtig“

Dass muslimische Mädchen immer öfter durch restriktive und bildungsfeindliche Zwänge und Vorschriften ihres familiären Umfelds beim Bildungserfolg behindert würden, kritisiert die deutsche Frauenrechtlerin Zana Ramadani. „Es kann nicht sein, dass Teile des Lehrplans wie etwa der Schwimmunterricht oder der Biologieunterricht abgelehnt werden. Wichtig ist ein Kopftuchverbot in Schulen. Wenn man einem Mädchen bereits im Kindesalter ein Kopftuch anlegt und so von ihm ein gewisses Verhalten erwartet, nimmt man ihm das Recht auf eine freie Entwicklung und Selbstbestimmung“, so Ramadani. Diese Selbstbestimmung und Freiheit müsse den Mädchen aber gerade in der Schule vermittelt werden: „Als Gesellschaft müssen wir vermitteln, welche liberalen Werte uns ausmachen – besonders Jugendlichen. Diese Arbeit dürfen wir nicht – wie in der Vergangenheit – muslimischen Verbänden überlassen, die etwa Geschlechtertrennung vermitteln“, betont Ramadani. Nur so könne Segregation in der Schule, zunehmender Bildungsfeindlichkeit der Eltern, aber auch der Unterdrückung von Mädchen, die aus stark patriarchalen Strukturen kommen, etwas entgegengesetzt werden.

Erkurt: „Bildung ist der Schlüssel zur Integration“

„Das Biber“-Reporterin Melisa Erkurt sieht eine Durchmischung von Schulklassen als wesentliche Voraussetzung für die Integration: „Eine Sprache lernt man als Kind über die sozialen Kontakte.“ An sogenannten Brennpunktschulen finde diese jedoch kaum statt, was neben mangelnden Sprachkenntnissen auch zu problematischen Entwicklungen wie religiösem Mobbing oder Konflikten zwischen Ethnien führen kann. Hier brauche es vor allem Unterstützung für die Pädagog/innen. Gleichzeitig müsse man vor allem Eltern die Bedeutung von Bildung und liberalen Werten wie Gleichberechtigung vermitteln: „Bildung eröffnet neue Chancen, zerstreut Vorurteile und hilft dabei Ziele zu erreichen. Jemand, der seine Ziele erreicht, fühlt sich wohl in dem Land und integriert sich.“ 

El-Sonbati: „Bewusstsein für Freiheit von Mädchen fördern“

Die Schweizer Gymnasiallehrerin und Initiatorin der „Offenen Moschee Schweiz“ Jasmin El-Sonbati sieht die Schule als Raum der Freiheit, welcher Mädchen und Burschen gleiche Chancen bieten muss: „Wir haben einen Bildungsauftrag, der alle in der Schweiz beziehungsweise in Österreich lebenden Kindern betrifft. Das müssen wir mit allen Mitteln, die uns das Gesetz gibt, umsetzen. Es ist unsere Aufgabe, Entwicklungen, die dem Kind nicht guttun, entgegenzuwirken.“ So sei besonders die Förderung jener muslimischen Mädchen wichtig, die von einem stark patriarchal geprägten Elternhaus erzogen werden: „Wir müssen ihnen vermitteln, dass ihnen die Welt ab ihrer Volljährigkeit offensteht. Das bedeutet: Frei zu entscheiden, eine Berufsausbildung zu machen, sich eventuell von der Religion zu lösen oder alleine zu wohnen. Das Bewusstsein können wir in der Schule fördern.“ 

Emberger: „Gegenseitige Wertschätzung muss vermittelt werden“

Walter Emberger, Gründer der Initiative „Teach for Austria“, spricht sich für einen reflektierten Umgang mit den Integrationsherausforderungen im Schullalltag aus: „Religiöses Mobbing, Verbalattacken oder Drohungen und Übergriffe auf Lehrer sowie auf Schüler dürfen nicht geduldet werden. Man darf das keinesfalls klein- oder schönreden oder gar ignorieren. Dennoch sollte man solche Vorfälle nicht hypen, denn das Potenzial haben sie.“ So seien vor allem Respekt und gegenseitige Wertschätzung jene Werte, die man Kindern und Jugendlichen in der Schule vermitteln müsse: „Das ist durchaus eine Haltung, die man in der Schule lernen kann.“

„Perspektiven Integration“: Experteneinschätzungen zu kontroversiellen Themen

Die Publikationsreihe „Perspektiven Integration“ des ÖIF thematisiert laufend aktuelle Herausforderungen im Integrationsbereich mit anerkannten Wissenschaftler/innen, Forscher/innen und Expert/innen. Die Interviews führt „Die Presse“-Redakteur Köksal Baltaci. Alle bisher erschienenen Ausgaben der Publikationsreihe „Perspektiven Integration“ finden Sie hier zum Download: https://www.integrationsfonds.at/perspektiven.

Zusätzlich liefert das aktuelle Fact Sheet „Migration und Schule“ aktuelle Zahlen zum Migrant/innen-Anteil an Österreichs Schulen sowie zur Verteilung nach Schultypen und Bezirken. https://www.integrationsfonds.at/factsheet.  

Rückfragen & Kontakt:

Österreichischer Integrationsfonds
MMag. Franziska Micheler
+43 1 7101203 333
franziska.micheler@integrationsfonds.at

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Quelle

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