Parlament feiert 100 Jahre erste Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung und 100 Jahre Frauenwahlrecht

Veranstaltung zum Gedenken an die ersten acht weiblichen Abgeordneten

Wien (PK) Vor genau 100 Jahren am 4. März 1919 trat bei der ersten Sitzung der Konstituierenden Nationalversammlung erstmals in Österreich ein Parlament zusammen, in dem Frauen vertreten waren und das von Frauen und Männern gewählt worden war. Aus Anlass dieses doppelten Jubiläums luden heute Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures und Dritte Nationalratspräsidentin Anneliese Kitzmüller zu einer Veranstaltung ins Parlament und leiteten damit eine Woche ein, die ganz im Zeichen der Frauen steht.

Bures: Wir dürfen uns nicht auf den Errungenschaften ausruhen

„Acht starke, beeindruckende Frauen haben heute vor 100 Jahren ihre unverbrüchliche Treue geschworen – als Abgeordnete einer jungen parlamentarischen Demokratie“, erinnerte Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures in ihren Begrüßungsworten. „Diese Pionierinnen stellten damit einen Fuß in jene Tür, die Frauen bis dahin von demokratischer Mitbestimmung ausgeschlossen hatte, ein frischer „Wind der Veränderung“ begann das Hohe Haus zu durchlüften.“ Ein Blick auf die letzten 100 Jahre aus frauenpolitischer Perspektive zeige, dass es keine lineare Entwicklung, sondern vielmehr Phasen des Fortschritts, des Stillstands und auch des massiven Rückschritts gegeben hat, gab Bures zu bedenken. So haben die acht Frauen der ersten Stunde für bessere Lebensbedingungen gekämpft – für den Acht-Stunden-Tag, für Arbeitslosenunterstützung und soziale Fürsorge, für die Öffnung von Bildungseinrichtungen.

Nachdem dieser gesellschaftliche Fortschritt in zwei faschistischen Diktaturen ein jähes Ende fand und Frauen im Nationalsozialismus auf die Rolle opferbereiter und leidensfähiger Mütter reduziert wurden, sei erst im gesellschaftlichen Aufbruch der 60er-Jahre eine neue Frauenbewegung entstanden. In den 70er-Jahren gelang es dann unter der Regierung Kreisky, frauenpolitische Reformen auf den Weg zu bringen – von der Gleichstellung im bürgerlichen Recht, der Reform des Familien- und Eherechts bis hin zur Fristenregelung. Die Einrichtung des Frauenministeriums, die Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, das Gleichbehandlungsgesetz und die beiden Gewaltschutzgesetze sind für Bures weitere wichtige Meilensteine in der Frauenpolitik der folgenden Jahrzehnte.

„Wir dürfen uns heute nicht auf den Errungenschaften ausruhen“, mahnte Bures und rief vor allem die Generation der Töchter auf, weiter für volle Gleichberechtigung zu kämpfen. Die Zweite Nationalratspräsidentin erinnerte dabei an die Forderung von Johanna Dohnal nach einer Steigerung des Frauenanteils in den gesetzgebenden Körperschaften und meinte, ein Drittel Frauen im Nationalrat sei wenig. Aktuell ist für Bures auch die Frauenquote, wobei sie Maria Fekter zitierte, die nach 27 Jahren Politik zu dem Schluss gekommen war: „Es funktioniert nicht ohne Quote.“ Es sei Auftrag und Vermächtnis der acht Pionierinnen, als Frauen hartnäckig zu bleiben und täglich aufs Neue Frauenrechte zu erkämpfen und zu verteidigen und für ein selbstbestimmtes, unabhängiges und diskriminierungsfreies Leben einzutreten, schloss Bures.

Stelzl-Marx erinnert an den Kampf der ersten acht Mandatarinnen für die Rechte der Ärmsten

Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung, richtete ihren Blick auf die historische Entwicklung des Frauenwahlrechts und stellte fest, die Ereignisse von 1919 seien keine Stunde Null gewesen. Nach der Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts 1907 nur für Männer – dem Höhepunkt des Ausschlusses der Frauen von der Politik, wie sie sagte – kam es bereits in den Jahren 1911 und 1913 zu machtvollen Demonstrationen für gleiche Rechte, in denen Frauen das Wahlrecht forderten. Im Ersten Weltkrieg vereinigten die Frauen ihre Kräfte im Kampf für den Frieden, bevor mit dem Kriegsende und der Gründung der Republik die Voraussetzungen für das Frauenwahlrecht geschaffen waren.

Am 12. November 1918 – noch vor der Abdankung Kaiser Karls – führte die Provisorische Nationalversammlung das aktive und passive Wahlrecht für die Frauen ein, sodass sich Frauen nun erstmals politisch betätigen durften. Frauen waren, so Stelzl-Marx, ein unberechenbarer Faktor in der Politik, ihr Wahlverhalten war schwer einschätzbar. Jede Partei glaubte, dass die neue Wahlmasse dem politischen Gegner zum Sieg verhelfen würde. So gab es auch ab 1920 verschiedenfarbige Wahlkuverts, um das Wahlverhalten der Frauen zu erfassen.  

Am 4. März 1919 zogen sieben Sozialdemokratinnen und eine Christlich-Soziale ins Parlament ein. Alle acht Frauen der ersten Stunde waren bereits seit Langem politisch aktiv. Sie vertraten Themen, die zuvor vernachlässigt worden waren, so etwa Sozialpolitik, Familienpolitik und Bildungspolitik. Stelzl-Marx erinnerte an Adelheid Popp, die nur drei Jahre Schulbildung hatte und als erste Frau ans Rednerpult des Parlaments trat, wo sie zum Gesetz über die Abschaffung des Adels Stellung nahm und gleiche Rechte für alle einforderte. Oder an Anna Boschek, die als erste Frau einen Gesetzesantrag einbrachte – ein Hausgehilfinnengesetz. Auch Amalie Seidel, Maria Tusch, Emmy Freundlich und Therese Schlesinger setzten sich für soziale Themen, für Frauenbildung und Arbeitnehmerinnenschutz ein. Gabriele Proft wiederum wurde sowohl im Ständestaat als auch während der NS-Diktatur inhaftiert. Hildegard Burjan schließlich, die einzige christlich-soziale Abgeordnete unter den acht Pionierinnen, hatte einen Universitätsabschluss und kämpfte für Mutterschutz und gegen Kinderarbeit. Sie wurde 2011 vom Papst seliggesprochen.

Die acht ersten Frauen im Parlament setzten sich insgesamt gegen Not und für die Rechte der Ärmsten ein, ihr Engagement ist bis heute von großer Aktualität, betonte Stelzl-Marx

HINWEIS: Fotos von dieser Veranstaltung finden Sie auf der Website des Parlaments unter www.parlament.gv.at/SERV/FOTO/ARCHIV.   

Die neue Publikation „…, [die] – Frauen im Parlament“ (Hg. Parlamentsdirektion) bietet einen umfassenden Überblick über die seit dem 4. März 1919 bisher im Nationalrat und Bundesrat vertretenen Frauen in der Ersten und Zweiten Republik. Das Buch steht als PDF ab sofort auf der Parlamentswebsite unter www.parlament.gv.at/PERK/FRAU/ zum Download zur Verfügung.


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