Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 23. Juni 2017. Von KATHRIN SILLLER. „Pflegende Kinder leiden im Stillen“.

Innsbruck (OTS) - In Tirol pflegen 5000 Kinder und Jugendliche ihre Angehörigen. Viele davon werden um ihre Kindheit gebracht, stehen unter enormem Druck, bewerten selbst ihre Lage aber als normal. Es wird Zeit, dieses Tabu anzugehen.

In Österreich waren mit Jänner des heurigen Jahres 456.103 Menschen pflegebedürftig. 75.000 davon waren in Pflegeheimen untergebracht. Dass die Zahl an alten und damit auf Hilfe angewiesenen Menschen laufend steigt, stellt die öffentliche Hand vor immense Schwierigkeiten und ist wohl eines der herausforderndsten Themen in der österreichischen Sozialpolitik. So weit, so bekannt.
Dass aber nicht nur mehr oder weniger professionelles Pflegepersonal mit der Betreuung unserer Alten und Kranken betraut ist, sondern auch Tausende Kinder und Jugendliche, ist eine Tatsache, die kaum Schlagzeilen macht. 43.000 Heranwachsende sind es österreichweit – 5000 in Tirol –, die als unfreiwillige Pflegekräfte an ihre Angehörigen gebunden sind. Alter, Krankheit und Pflege sind die Probleme der Zukunft. Künftig wird es also noch viel mehr private Anstrengungen brauchen, um etwas zu bewältigen, das eigentlich eine Sache der Öffentlichkeit ist.
Der Pflegebegriff ist dabei sehr weit gefasst. Denn wo hört „ein bisschen Hilfe“ und das Sich-Kümmern auf? Es ist Pflege, wenn der Volksschüler pflichtbewusst den Geschirrspüler leert, weil die Mutter zu schwach dafür ist. Es ist Pflege, wenn der 15-Jährige den Katheter seines Vaters reinigen muss, und es ist auch Pflege, wenn die Studentin ihre demente Großmutter zwanzigmal täglich anruft, um sich zu versichern, dass sie aufs Klo gegangen ist.
Laut Experten ist die Zahl dieser Kinder und Jugendlichen sogar noch untertrieben. Es sei ein Tabuthema; die Teenager würden einerseits aus Scham nicht darüber sprechen, andererseits aber auch, weil sich die Situation für sie als normal darstellt. Sie kennen es schließlich nicht anders.
Die häuslichen Missstände werden erst dann virulent, wenn die kranke Mutter oder der überforderte Vater selbst um Hilfe ansuchen und der Pflegedienst Zeuge davon wird, wie die 18-jährige Tochter nicht nur den Haushalt schmeißt, sondern auch drei Geschwister versorgt. Dann kann endlich ausgesprochen werden, wie groß der Druck ist, dass die gesamte Freizeit um den Kranken herum organisiert oder auf Freunde verzichtet wird. Aber auch wie groß das Verantwortungsgefühl und die damit verbundenen Schuldgefühle sind.
Niederschwellige Angebote wie jenes der Johanniter, bei dem betroffene Kinder, Jugendliche und Angehörige anonym und kostenlos Hilfe bekommen, können nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Wenn Kinder und Jugendliche pflegen müssen, darf das nicht
ihr „Privatproblem“ bleiben.

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