Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 28. Juli 2018. Von MARIO ZENHÄUSERN. „Schwächenanalyse ohne Konsequenzen“.

Innsbruck (OTS) Durch ihren Schlingerkurs beim EU-Vorsitz erweckt die österreichische Bundesregierung derzeit den Anschein, als ob die türkis-schwarze Hälfte nicht weiß, was der blaue Juniorpartner tut. Oder dass sie es gar nicht wissen will.

Österreich stelle seine nationalen Positionen während des Ratsvorsitzes in der Europäischen Union in den Hintergrund, wolle sich als Vorsitzland um die Einheit und die Gemeinschaft der 27 in der EU verbleibenden Staaten kümmern. Das erklärte am Donnerstag Europaminister Gernot Blümel (ÖVP) in einem Interview mit der Austria Presseagentur (APA). Als Ratsvorsitzender, so Blümel weiter, spreche „ich nicht für Österreich und vertrete nicht die nationale Position, sondern versuche zwischen den Positionen der Länder zu vermitteln“. Eine richtige und wichtige Zielsetzung. Und eine große Aufgabe. Die Vermittlung zwischen den Positionen der Mitgliedsstaaten ist nämlich genau das, was der Europäischen Union derzeit am meisten fehlt. Die Gemeinschaft driftet in zentralen Fragen auseinander, statt zusammenzuhalten. Werte wie Pressefreiheit, Menschenrechte, Unabhängigkeit der Justiz, Ablehnung von Diskriminierung jedweder Art und natürlich immer wieder die Solidarität untereinander – in einigen Mitgliedsländern scheint niemand mehr zu wissen, wie man dieses Wort überhaupt schreibt, geschweige denn, was es bedeutet – besitzen nicht überall denselben Stellenwert. Hier vermittelnd einzugreifen und die Standards überall auf ein einheitliches und vor allem westeuropäisches Niveau zu heben, wäre tatsächlich eine lohnende Aufgabe für die EU-Ratspräsidentschaft Österreichs. Europaminister Blümel hat die aktuell größten Schwächen der EU ausgemacht. Was er dabei ausblendet ist die Tatsache, dass Österreich bisher nichts unternommen hat, um der versprochenen Brückenbauer-Funktion gerecht zu werden. Im Gegenteil, beim Treffen der EU-Innenminister in Innsbruck zum Start der Vorsitzmonate spielten ausschließlich nationalstaatliche Positionen die Hauptrolle. Horst Seehofer (Deutschland), Matteo Salvini (Italien) und Herbert Kickl (Österreich, FPÖ) rückten die Migrations- und Asylpolitik der EU ein weiteres Stück nach rechts, um nationale Interessen ihrer Anhänger zu befriedigen. Dafür waren sie sogar bereit (und sind es angesichts anhaltender Grenzkontrollen in Bayern immer noch), eine der größten Errungenschaften der EU, die Reisefreiheit im Schengenraum, aufs Spiel zu setzen.
Herbert Kickl hat demnach andere Vorstellungen vom österreichischen EU-Vorsitz als Gernot Blümel. Dieser Schlingerkurs erweckt den Anschein, als ob in der österreichischen Bundesregierung die türkis-schwarze Hälfte nicht weiß, was der blaue Juniorpartner tut. Oder sie will es gar nicht wissen. Es ist unklar, was dem Ansehen des Landes mehr schadet.

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