Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 5. Juni 2018. Von Floo Weißmann. „Putin, gefürchtet und hofiert“.

Innsbruck (OTS) Wenn der Kremlchef heute nach Österreich kommt, findet er viel guten Willen für eine Annäherung zwischen Ost und West. Aber noch ist nicht heraußen, wie die Streitfragen gelöst werden können.

Den russischen Präsidenten Wladimir Putin gibt es offenbar in zwei Versionen. Zumindest könnte man das glauben, wenn man westlichen Offiziellen und Kommentatoren so zuhört.
Der erste Putin gilt als gefährlich. Er führt Krieg, mit traditionellen Soldaten ebenso wie mit Internet-Trollen. Er hat einem Nachbarland eine Halbinsel geraubt. Er will den Westen, den er verachtet, destabilisieren – bis hin zur Beeinflussung von Wahlen. Er unterdrückt die Opposition und lässt Gegner ermorden. Die, die es mit dieser Version Putin zu tun haben, halten Dialog für sinnlos, weil man dem Kremlchef ohnehin nicht vertrauen kann. Sie setzen auf Abnabelung und Abschreckung.
Daneben gibt es eine zweite Version von Putin: ein meisterhafter Taktiker der Macht, der Russ­land nach dem Chaos der Neunzigerjahre stabilisiert und der gedemütigten Supermacht zu neuer Geltung verholfen hat. Man muss ihn nicht mögen oder gar bewundern, wie das auch manche tun, aber auf jeden Fall mit ihm irgendwie auskommen. Denn Russland und Europa sind historisch, wirtschaftlich und kulturell eng verflochten. Und der Kremlchef hält nun einmal in der Ukraine, in Syrien und anderswo wichtige Fäden in der Hand.
Diese Version des Kremlchefs kommt heute nach Wien. Das liegt auch daran, dass die österreichischen Eliten in Politik und Wirtschaft seit jeher die freundlichere Lesart von Putins Russland verbreiten. Und daran, dass viele Österreicher weiterhin der Vorstellung vom neutralen Vermittler zwischen Blöcken anhängen, auch wenn die Realität längst eine andere ist.
Für Putin dürfte Österreichs EU-Vorsitz im zweiten Halbjahr ein Glücksfall sein, was seinen Besuch erklärt. Die Regierung will Brücken zwischen Ost und West bauen. Der Zeitpunkt dafür erscheint günstig: Mit der neuen italienischen Führung wächst in der EU die Fraktion der Sanktionsgegner. Und in den USA betreibt Präsident Donald Trump eine Außenpolitik, die Europas Interessen zuwiderläuft und die Europäer zwingt, sich neu zu orientieren.
Die Brückenbauer nach Russland stehen jedoch vor einem Dilemma. Ohne öffentlich verkaufbare Gegenleistung des Kreml wird eine freundlichere Russland-Politik in der EU kaum mehrheitsfähig sein. Zugleich aber erwarten nicht einmal die wohlmeinendsten Beobachter, dass Putin in den Streitfragen mit dem Westen substanzielle Zugeständnisse macht. Das geht schon allein aus innenpolitischen Gründen nicht. Ein Ausweg aus diesem Dilemma ist bisher nicht bekannt geworden – ganz egal, welcher Version von Putin man anhängt.

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