Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 5. März 2020. Von MARIO ZENHÄUSERN. „Europa schafft sich ab“.

Innsbruck (OTS) Es ist nachvollziehbar, dass Griechenland auf den Ansturm von Flüchtlingen aus der Türkei mit einem Asyl-Stopp reagiert. Aber die Maßnahme widerspricht geltendem Recht. Die EU-Spitze nimmt das zustimmend zur Kenntnis.

Im Artikel 2 des EU-Vertrags haben sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, Werte wie Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören, hochzuhalten. Diese Grundwerte sind die Basis der Zusammenarbeit innerhalb der Union, ihre Verletzung kann mit der Suspendierung der Mitgliedschaft geahndet werden. Zumindest in der Theorie. In der Praxis verstoßen EU-Mitgliedsstaaten immer wieder gegen den EU-Vertrag, ohne dass dieses Verhalten geahndet wird. Vor allem im Bereich der Flüchtlingspolitik tun sich seit Jahren tiefe Gräben auf. Ungarn etwa gewährt Flüchtlingen kaum noch Asyl – 2019 waren es gerade einmal 60 positive Bescheide. Das mag populistisch und kurzfristig betrachtet vielleicht eine wirksame Maßnahme gegen die befürchtete Einwanderungswelle sein. Langfristig verlagert sie das Problem lediglich auf andere Staaten.
Ungarns restriktive Asylpolitik ist nur ein Beispiel für die Uneinigkeit in der EU. Der Umgang der polnischen Regierung mit der Rechtsstaatlichkeit, die Einschränkungen der Pressefreiheit in diversen Ländern Osteuropas, aber auch der ewige Konflikt zwischen der Transportwirtschaft und den Bedürfnissen der Bevölkerung entlang der Transitstrecken zeigen nicht weniger deutlich Handlungsbedarf auf. In dieselbe Kategorie fällt, wenn Griechenland den aus der Türkei anstürmenden Flüchtlingen derzeit keine Möglichkeit einräumt, ein Asylverfahren zu beantragen. Auch wenn die Maßnahme lediglich die nachvollziehbare Konsequenz aus der menschenverachtenden Politik des türkischen Präsidenten ist, der die EU schamlos erpresst – sie widerspricht geltendem EU-Recht!
Die Tatsache, dass der griechische Asyl-Stopp von der EU-Kommission demonstrativ unterstützt wird, unterstreicht die Ohnmacht Europas in zentralen Zukunftsfragen. In Wirklichkeit gibt es nämlich nur zwei Möglichkeiten, auf die drohende neue Migrationskrise zu reagieren:
Die EU muss für einen geregelten und einheitlichen Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren und eine gerechte Aufteilung jener Menschen sorgen, die einen positiven Asylbescheid in der Tasche haben. Oder sie muss sicherstellen, dass die Flüchtlinge in der Türkei (oder in anderen Ländern) ein menschenwürdiges Dasein führen können.
Nichts zu tun und die Griechen mit dem Problem alleinzulassen, ist keine Alternative. Wenn doch, schafft sich Europa damit Zug um Zug selbst ab.

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