Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 9. Juli 2021. Von MICHAEL SPRENGER. „Aufgeheizt und vergiftet“.

Innsbruck (OTS) Auf der Regierungsbank, in den Reihen der Opposition: Politiker sorgen für Gereiztheit, versuchen, Stimmungen auszunützen, üben sich in Vor-Verurteilungen. Ein gefährliches Einfallstor – für die Rückkehr der Propaganda.

Es ist zwar kein neues Phänomen, aber wir erkennen es immer häufiger. Sobald ein schreckliches oder abscheuliches Ereignis für Schlagzeilen sorgt, versuchen politische Akteure daraus Kapital zu schlagen. Dies war beim Terroranschlag in Wien so der Fall, jetzt ist es das wieder – beim Mord an der 13-jährigen Leonie.
Nicht unmittelbar vergleichbar, weil anders gelagert, mutet die überhitzte Diskussion im Zusammenhang mit dem Corona-Cluster im Umfeld des Untersuchungsausschusses an. Auch hier ist man sofort bei der Sache, wenn es darum geht, politisches Kleingeld zu wechseln. Der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen hat im Zusammenhang mit der Macht von Twitter und Facebook den Begriff des Sofortismus geprägt. Die Schuldfrage wird in sozialen Netzwerken nicht nur gestellt, sondern in der Minute beantwortet. Nicht nur beantwortet: Unmittelbar werden Konsequenzen eingefordert – und die vermeintlich Schuldigen an den Pranger gestellt. Egal, ob Hintergründe geklärt sind oder nicht. Die „große Gereiztheit“ in der Gesellschaft wird angeheizt, die Parteien erkennen ein Einfallstor hin zum Autoritarismus. Regierende ebenso wie Oppositionskräfte nützen diese Gereiztheit aus, zeigen mit dem Finger auf den politischen Gegner, verurteilen rasch. Dann wundert es auch wenig, wenn ferndiagnostisch ein blauer Masken-Verweigerer als Verursacher für den Parlamentscluster ausgemacht wird oder Vertreter einer offenen Gesellschaft indirekt für Mord und Terror mitverantwortlich gemacht werden. Dabei scheint es egal zu sein, wer politisch für Asyl und Integration die Verantwortung trägt – und dies seit Jahren.
Das sind alles Beispiele, die in Summe zu einem vergifteten Klima führen. Die Beispiele können fortgeführt werden. Etwa durch jene Medien, die gemeinsame Sache mit den Regierenden machen, durch Journalisten, die – wie zuletzt bei den Korruptionsvorwürfen und Chatnachrichten – gerne die Rolle des Anklägers und Richters einnehmen. Wie es gerade passt.
Was also tun? Besonnene Politiker sind vonnöten, solche, die für ihre Ideen und Vorstellungen brennen. Politiker, die Stimmungen befeuern und Ereignisse für ihre Sache ausnützen wollen, agieren populis­tisch. Eine Debattenkultur ist geboten, eine, die es ermöglicht, kontroverse Fragen ohne Hass und Schaum vor dem Mund zu erörtern. Stattdessen erleben wir die Rückkehr der Propaganda. Drückt jemand die Stopptaste? Es wäre notwendig. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die liberale Demokratie.

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