TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Das Märchen von der Mitte“, von Gabriele Starck

Ausgabe vom Freitag, 7. Februar 2020

Innsbruck (OTS) Die Parteichefs von CDU und FDP in Berlin spielen sich jetzt als Retter der Anständigkeit auf. Doch sie sind maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass in Thüringen erstmals die AfD einen Regierungschef bestimmen konnte.

Deutschland kämpft mit sich selbst, und Björn Höcke genießt. Höcke, das ist jener AfD-Landes­chef, der Faschist genannt werden darf und dessen so genannter Flügel vom Verfassungsschutz als Rechtsextremismus-Verdachtsfall geführt wird. Mit Höckes Stimme und denen der anderen AfD-Abgeordneten hat sich Thomas Kemmerich von der Fünf-Prozent-Partei FDP am Mittwoch zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen lassen.
Auch wenn sich Kemmerich gestern dem Druck der Öffentlichkeit, der Bundesparteien und der Bundeskanzlerin gebeugt hat und bereit ist, sein Amt wieder abzugeben sowie Neuwahlen anzustreben: Der Schaden ist angerichtet, das Tabu gebrochen.
Sich jetzt an den Landesparteien abzuputzen und als Retter der Anständigkeit aufzuspielen, können die Parteichefs von FDP und CDU, Christian Lindner und Annegret Kramp-Karrenbauer, vergessen. Sie haben maßgeblich dazu beigetragen, dass es so weit kommen konnte. So hatte Kemmerich sein Vorgehen mit Lindner abgesprochen, und die Bundespartei gratulierte ihm zunächst auch zur Wahl. Erst der Protest gestandener Liberaler hat den Parteivorsitzenden dazu bewogen, persönlich in Erfurt zu erscheinen und die Reißleine zu ziehen. Was Frei- und Christdemokraten in Deutschland in unseliger Weise eint, ist die eingebrannte Ablehnung all dessen, was links sein könnte. Auch wenn die Narben, die Nazideutschland geschlagen hat, sehr tief sitzen und gewiss nicht vergessen sind, der Schmerz, den die Teilung Deutschlands ihnen verursacht hat, ist frischer.
Gewiss: „Die Linke“ ist die Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei SED. Mit ihr zu tun hat sie aber nur noch in „homöopathischen“ Dosen. Sprich, man erinnert sich daran, aber es gibt keinen dort, der sich SED-Diktatur und Repressionen zurückwünscht. Die deutschen Linken können durchaus auch Populismus, aber letztlich machen sie dort, wo sie regieren, jene Politik, von der sich die SPD längst verabschiedet hat. Und der gestern gestürzte linke Ministerpräsident Bodo Ramelow ist alles andere als ein Extremist, sondern ein pragmatischer Politiker, der auch mit dem konservativen Lager kann.
Solange CDU und FDP die Linke in Deutschland mit der AfD und einen Bodo Ramelow mit Björn Höcke auf eine Stufe stellen, nehmen sie die Gefahr, die vom Wiedererstarken faschistischer Tendenzen ausgeht, nicht ernst genug. Das, was am Mittwoch in Thüringen geschah, war ein großer Schritt in Richtung: Es gibt kein Zurück mehr.

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