TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Dienstag, 8. Oktober 2019, von Mario Zenhäusern: „Medialer Sittenverfall“

Innsbruck (OTS) Die Fassungs- und Sprachlosigkeit nach dem Fünffachmord von Kitzbühel wird verstärkt durch die Vermarktung der Tragödie. Die schonungslose Zurschaustellung der Opfer ist pietätlos und zeigt, wie tief das Niveau gesunken ist.

Der Fünffachmord von Kitzbühel macht betroffen. Muss betroffen machen. Nicht nur Angehörige, Bekannte und Freunde, sondern jeden Menschen, der zu normaler Empathie fähig ist. Wenn fünf Menschen auf diese brutale Art ihr Leben verlieren, muss das zum Nachdenken anregen.
Zu verhindern sind Taten wie die in Kitzbühel nicht. Es wird immer wieder Menschen geben, die plötzlich ausrasten. Aber was hat den jungen Kitzbüheler veranlasst, eine ganze Familie und den neuen Gefährten seiner Ex-Freundin auszulöschen? Die Antwort auf diese Frage kann nur der Täter selbst geben.
Nicht weniger betroffen als die Tat selbst macht ihre ausufernde öffentliche Vermarktung. Vor allem in den sozialen Netzwerken hat die Tragödie eine Welle von Kommentaren ausgelöst, die fassungs- und sprachlos macht. Wenige Stunden nach dem tragischen Tod von fünf Menschen wurde versucht, den Täter in ein bestimmtes Eck zu stellen und damit politisches Kleingeld zu verdienen. Das ist letztklassig und beweist einmal mehr, wie tief das Niveau inzwischen gesunken ist. Nicht nur auf den digitalen Kanälen, sondern auch bei jener politischen Gruppierung, die das unsägliche Facebook-Posting abgesetzt hat.
Noch ein Wort zur rechtlichen Situation: In Österreich sind nach geltendem Medienrecht Opfer und (mutmaßliche) Täter sowie deren Angehörige gesetzlich davor geschützt, dass ihr Name, Bild oder nähere Angaben zur Person ohne Einwilligung in Medien veröffent­licht werden. Ausgenommen sind, vereinfacht erklärt, lediglich Persönlichkeiten des öffentlichen Interesses bzw. Persönlichkeiten, die selber in der Öffentlichkeit stehen. Während sich viele Medien nach bestem Wissen und Gewissen an diese gesetzliche Regelung halten, wird sie in den sozialen Netzwerken regelmäßig und von deutschen und österreichischen Boulevardzeitungen immer wieder ignoriert, wie die schonungs- und pietätlose Zurschaustellung der Opfer im Fall Kitzbühel zeigt. Diese Form der Berichterstattung ist ein Beweis für den medialen Sittenverfall, der noch dazu in den meisten Fällen sanktionslos bleibt.
Die Tat des jungen Kitzbühelers kann durch die gesetzeskonforme Berichterstattung in den Medien nicht ungeschehen gemacht werden. Sie bleibt unverständlich. Aber vielleicht lindert eine gewisse Zurückhaltung das Leid der Angehörigen, Freunde, Bekannten und Arbeitskollegen der Betroffenen. Auch wenn das nur ein schwacher Trost ist.

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