TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Mittwoch, 5. Juli 2017, von Peter Nindler: „Reaktionsmanagement am Brenner“

Innsbruck (OTS) - Grenzkontrollen in Europa dokumentieren das Versagen der EU in der Flüchtlingskrise. Nachvollziehbar sind sie trotz-dem, um unerlaubte Migration zu verhindern. Stoppen wird sie nur ein Marshall-Plan für den afrikanischen Kontinent.

Seit September 2015 kontrolliert Deutschland seine Grenzen zu Österreich. Mit allen negativen Folgen wie kilometerlangen Staus, die bis Kufstein oder Salzburg zurückreichen. Rom und Brüssel halten still, schließlich will man es sich ja nicht mit Europas politischer und wirtschaftlicher Lokomotive verscherzen. Am Brenner wiederholt sich hingegen die Geschichte. Als im Vorjahr das Grenzmanagement eingerichtet wurde, gab es einen emotionalen Aufschrei. Weil an der historisch belasteten Brennergrenze plötzlich jene Kontrollen gegen unerlaubte Migration durchgeführt werden sollen, die offensichtlich 100 Kilometer weiter östlich in Kiefersfelden niemanden stören. Jetzt bereitet sich Österreich wieder darauf vor, um einer unkontrollierten Einwanderung wirksam zu begegnen. Und die Reaktionen erfolgen nach dem Schema „copy and paste“.
Grenzkontrollen innerhalb Europas dokumentieren genau genommen europäisches Versagen. In der Flüchtlingsfrage ist die EU schon längst zerbrochen, nationalstaatliches Denken hat die Migrationsbewegung nach Europa erst zu einer Flüchtlingskrise gemacht. Schweden, Deutschland und Österreich mussten sie fast im Alleingang bewältigen und gleichzeitig ein Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindern. Schließlich benutzten innenpolitische Zündler das Fremde, um bewusst einen Keil in die Bevölkerung zu treiben.
Jetzt wird Italien in der Flüchtlingsfrage im Stich gelassen. Brüssel übersieht dabei, dass sich an seinen Küsten ebenfalls die Zukunft Europas mitentscheidet. Nicht nur beim Brexit. Doch hilflos taumelt die EU von einem Flüchtlingsgipfel zum anderen. Die Betreuung von Hunderttausenden Migranten kann Italien alleine nicht schaffen. Ohne wirksame europäische Solidarität steht man bei der unvermeidlichen Frage an, wie Fluchtbewegungen eingedämmt werden können. Der versprochene Schutz der Außengrenzen funktioniert nicht, Nordafrika ist nach wie vor Sprungbrett für eine lebensgefährliche Flucht. Die Mittelmeerroute schließen? Aber wie?
Ohne die kollektive Verantwortung Europas bzw. der internationalen Staatengemeinschaft, für Kriegs-, Wirtschafts- und Klimaflüchtlinge Perspektiven am afrikanischen Kontinent zu schaffen, wird es nicht gehen. So wie für Europa nach 1945 benötigt es für Afrika einen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Marshall-Plan; nicht Ausbeutung und spärliche Entwicklungshilfe.
Deshalb symbolisiert der Brenner heute eine europäische Gesichtshälfte; leider auch eine scheinheilige und zwiespältige.

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