TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ Samstag, 15. April 2017, von Christian Jentsch: „Die türkische Tragödie“

Innsbruck (OTS) - Mit dem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei greift Präsident Recep Tayyip Erdogan nach der absoluten Macht. Und ist dafür offenbar bereit, vieles über Bord zu werfen. Ein Spiel mit dem Feuer.

Nur noch wenige Österreicher und Deutsche werden sich diesen Sommer an den türkischen Stränden in der Sonne aalen. Die türkische Tourismusindustrie fürchtet empfindliche Einbußen. Doch es geht längst nicht nur um den Tourismus im einstigen Wirtschaftswunderland Türkei, das an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien als G20-und NATO-Mitglied in der westlichen Welt verankert Furore zu machen schien. Recep Tayyip Erdogan führte mit seiner islamisch-konservativen AKP das Land – allen Unkenrufen zum Trotz – in sichere Gewässer. Die Türkei etablierte sich als regionale Führungsmacht und machte sich auf den Weg nach Europa. Nicht nur weil die Beitrittsverhandlungen mit der EU aufgenommen wurden, auch weil der Rechtsstaat sich zu etablieren begann.
Erdogan und seine früheren Verbündeten – darunter vor allem der heute als Staatsfeind Nummer eins gebrandmarkte, im US-Exil lebende Prediger Fethullah Gülen – entmachteten den so genannten tiefen Staat und legten das früher übermächtige Militär an die Kette.
Doch das Bild der Türkei hat sich mittlerweile dramatisch gewandelt. Nichts scheint mehr so wie noch vor wenigen Jahren. Der Rechtsstaat und die Demokratie kommen zunehmend unter die Räder, Kritiker werden aus dem Weg geräumt (und wenn nötig ins Gefängnis gesteckt), die Gräben zwischen der Türkei und Europa werden immer tiefer. Sicher, Europa hat die beitrittswillige Türkei jahrelang im Regen stehen gelassen und war in Sachen Beitrittsperspektive nicht ehrlich.
Doch nun scheint Erdogan die Bande mit der EU endgültig kappen zu wollen. Nach der Absage von Wahlkampfauftritten türkischer AKP-Politiker in Deutschland und den Niederlanden schwang er die (wirklich aberwitzige) Nazikeule und setzte auf eine äußerst aggressive Rhetorik gegenüber den langjährigen Verbündeten. Europa wurde im Vorfeld des wegweisenden Referendums zur Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei zu seinem Lieblingsfeind, die EU zur „Kreuzritter-Allianz“. Erdogan greift nach der absoluten Herrschaft – und ist dafür offenbar bereit, einen hohen Preis zu bezahlen. Erdogans neue Politik – der Feldzug gegen seine Kritiker, die Eskalation im Kurden-Konflikt, der gefährliche Pakt mit den Ultranationalisten und die Abkehr von Europa – kann der Türkei noch teuer zu stehen kommen. Es wäre höchst an der Zeit, die Eskalation zurückzufahren. Denn diese Strategie ist ein Spiel mit dem Feuer.

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