TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 14. Februar 2020 von Christian Jentsch – „Wenn der Westen seine Totenmesse feiert“

Innsbruck (OTS) Im Weltentheater führt der Westen immer weniger Regie. Die liberale Weltordnung gerät in die Defensive, selbst in den USA und in Europa. Bei der Sicherheitskonferenz in München geht es um einen Westen, der nicht mehr weiß, was er ist und sein will.

Im Konzert der Großen scheint der Wes­ten seine Stimme verloren zu haben. Ein Westen, der für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und eine regelbasierte Welt eintritt. Er ist vielerorts verstummt. Heute regiert vielmehr das Hauen und Stechen, Regeln werden bewusst gebrochen, das Recht des Stärkeren ist das Maß der Dinge. Aktuell zu sehen in blutigen Kriegen vor Europas Haustüre – in Syrien oder auch Libyen. Dort liefern sich Groß- und Re­gionalmächte blutige Stellvertreterkriege, dort nimmt das Morden an Zivilisten kein Ende, dort gibt es längst keine einheitlichen Fronten mehr. Dort kocht jeder sein eigenes Süppchen. „Wir haben mehr Krisen und grauenhafte Vorgänge, als man sich vorstellen kann“, erklärte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, im Vorfeld des hochkarätigen Treffens der Weltenführer, das heute im Bayerischen Hof in München eröffnet wird. Im Syrien-Konflikt konstatierte Ischinger der internationalen Staatengemeinschaft ein „unverzeihliches Versagen“.
Von einer Gemeinschaft – die insbesondere der Westen für sich reklamiert – ist freilich nicht mehr viel übrig geblieben. Die Säulen der nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten liberalen westlichen Weltordnung sind ins Wanken geraten. Jene Weltordnung, welche den USA die wirtschaftliche und militärische Vormachtstellung sicherte und die dem aus den Trümmern der Weltkriege auferstandenen Europa Sicherheit und Wohlstand garantierte. Doch gerade US-Präsident Donald Trump hat die Spitzhacke ausgepackt, um diese Weltordnung zu zertrümmern. Der Präsident des „America first“ hält nichts von einer multilateralen Welt, er gibt wenig auf Allianzen und sieht die EU nicht als Freund, sondern vielmehr wie China als Rivalen im weltweiten Handelskrieg. Das Klimaabkommen von Paris schickte er in die Wüste, das vom Westen mit dem Iran ausgehandelte Atomabkommen kündigte er auf. Dazu kommt noch die westliche Verteidigungsallianz NATO, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach sicherheitspolitischen Alleingängen der USA und der Türkei in Syrien als „hirntot“ bezeichnete.
Doch nicht nur Trump bringt das Bisherige ins Wanken. Auch innerhalb der EU wird die Wertegemeinschaft zunehmend in Frage gestellt, etwa von Ungarns Regierungschef Viktor Orbán mit seiner Vision einer „illiberalen“ Demokratie.
Liberale Demokratien verlieren an Strahlkraft, autoritäre Herrschaftssysteme sind auf dem Vormarsch. Der Westen zelebriert seine Totenmesse, gestorben sind die Werte der westlichen Demokratie aber noch keineswegs.

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