TIROLER TAGESZEITUNG. Leitartikel vom 29. Oktober 2017 von Christian Jentsch – Madrid hat in Katalonien nichts gewonnen

Innsbruck (OTS) - Die spanische Zentralregierung will die nach Unabhängigkeit strebenden Katalanen zur Räson bringen und setzt auf die „nukleare Option“. Doch mit Zwang kann Madrid viel zerstören. Und mit Demütigung alles verlieren.

Erstmals seit dem Ende der Franco-Diktatur und der Rückkehr Spaniens zur Demokratie entzieht die Zentralregierung in Madrid im Streit mit der nach Unabhängigkeit strebenden Regionalregierung von Katalonien einer Region die Autonomierechte. Der Senat, das Oberhaus des spanischen Parlaments, gab dem spanischen Premier Mariano Rajoy gestern grünes Licht für die Entmachtung der katalanischen Regionalregierung von Regionalpräsident Carles Puigdemont. Auf der Gegenseite stimmte das Regionalparlament in Barcelona gestern mehrheitlich für einen Prozess zur Loslösung von Spanien und zur Gründung eines unabhängigen Staates. Ein Schritt der Separatisten, um vor ihren Anhängern nicht das Gesicht zu verlieren. Ein Schritt, der aber wohl bedeutungslos bleibt. Denn erstmals seit Inkrafttreten der spanischen Verfassung im Jahr 1978 kommt nun Artikel 155 – die so genannte „nukleare Option“ – zur Anwendung. Mit dem Drücken des „Atomknopfs“ soll nicht nur die katalanische Regionalregierung abgesetzt und das Regionalparlament unter Vormundschaft Madrids gestellt werden – auch die Verwaltung, die Regionalpolizei und die öffentlich-rechtlichen Medien sollen direkt der Zentralregierung unterstellt werden.
Doch Madrid hat als vermeintlicher Sieger des Konflikts mit den katalanischen Separatisten nichts gewonnen. Der katalanische Freiheitsgeist ist aus der Flasche und mit einem Kraftakt schafft Madrid keine befohlene Einheit. Und sich hinter der spanischen Verfassung zu verstecken, macht die Aufgabe nicht leichter. Großbritannien hatte den Schotten erlaubt, über die Zugehörigkeit zum Vereinigten Königreich abzustimmen. Ohne gleich eine Staatskrise auszurufen und die Polizei in Gang zu setzen. Und Schottland ist noch immer Teil Großbritanniens.
Im Konflikt mit Katalonien wurden auch von Seiten der spanischen Regierung unter Premier Rajoy zahlreiche Chancen auf einen Kompromiss ausgelassen. Und zwar ganz bewusst, aus politischem Kalkül. Ein bereits 2006 vom spanischen Parlament durchgewunkenes neues Autonomiestatut für Katalonien wurde von Rajoys Volkspartei (Partido Popular) zu Fall gebracht. Da spielte das Wohle Spaniens keine Rolle. „Ich hoffe, dass die spanische Regierung mehr auf die Stärke des Arguments setzt als auf das Argument der Stärke“, erklärte gestern EU-Ratspräsident Donald Tusk zum eskalierenden Konflikt. Denn eines ist klar: Sollte Madrid mit den verordneten Zwangsmaßnahmen auf eine Demütigung Kataloniens setzen, droht es sich selbst und vielleicht auch ganz Europa in den Abgrund zu stürzen.

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