TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel vom 4.Juli 2019 von Floo Weißmann – „Europas missliche Situation“

Innsbruck (OTS) Der Postenschacher von Brüssel stärkt die Macht der nationalen Regierungen gegenüber dem EU-Parlament.
Es droht ein historischer Rückschritt hinter die Juncker-Kommission, die Europa nicht nur verwalten wollte.

Zwei Frauen an der Spitze der Europäischen Kommission und der EZB. Das wäre, wenn es denn so kommt, ein starkes Signal für Geschlechtergerechtigkeit, das nach innen und nach außen wirkt. Aber es tröstet nur bedingt darüber hinweg, wie Europas Staats- und Regierungschefs ihr Personalpaket geschnürt haben. Drei Tage haben sie hinter verschlossenen Türen um Posten geschachert. Es ging offenbar nicht um die besten Köpfe für Europa. Sondern darum, dass die Kommissionschefin aus der richtigen Parteienfamilie stammt und dass die Gegner der liberalen Demokratie in Budapest, Warschau und anderswo mit ihr zufrieden sind.
Ursula von der Leyen, die nun den wichtigsten Job in Brüssel antreten soll, hat kaum ein europapolitisches Profil und hatte keinerlei Bezug zur Europawahl. Wofür steht sie eigentlich? Wird sie sich dem EU-Parlament verantwortlich fühlen? Wird sie den nationalen Regierungen die Stirn bieten, denen sie den Job verdankt? Wenn nicht, wäre das ein historischer Rückschritt hinter die Juncker-Kommission, die Europa gestalten und nicht nur verwalten wollte.
Die Gipfelteilnehmer rühmen sich, Europas Einheit gewahrt zu haben. Vermieden haben sie aber nur die Spaltung des Rates, also der nationalen Regierungen. Das geht auf Kosten des Parlaments und schürt Zwietracht zwischen Parteifamilien. Ein europäischer Konsens sieht anders aus.
Das Spitzenkandidatenmodell, das eine Beziehung zwischen der Europawahl und der Kommissionsspitze herstellen sollte, dürfte damit erledigt sein. Das Parlament ist daran mitschuldig, weil es sich im Vorfeld des Gipfels intern nicht einigen konnte. Mitschuldig ist auch die Europäische Volkspartei: Hätte sie anstelle von Manfred Weber einen mehrheitsfähigen Spitzenkandidaten nominiert, hätte sich Europa das Drama der vergangenen Tage wohl erspart.
Allen Bedenken zum Trotz ist nicht ausgeschlossen, dass eine Mehrheit des Parlaments von der Leyen abnickt. Zum einen, weil eine realistische Alternative fehlt. Und zum anderen, weil Europa vor großen Herausforderungen steht. Angesichts dessen dürften die Abgeordneten wenig Appetit auf einen Institutionenkonflikt verspüren. Falls das so kommt, stärkt der Postenschacher die Macht der nationalen Regierungen gegenüber dem Parlament, der einzigen direkt vom Volk gewählten Institution der EU. Eine „missliche Situation“, wie die deutsche Kanzlerin einräumte. Sie zog die vielleicht wichtigste Schlussfolgerung aus dem Gipfel: Bis zum nächsten Mal in fünf Jahren braucht es ein neues Verfahren, wie Europa sein Spitzenpersonal auswählt.

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