TIROLER TAGESZEITUNG „Leitartikel“ vom 9. Jänner 2020 von Floo Weißmann „Der Krieg, den keiner will“

Innsbruck (OTS) Die Vereinigten Staaten und der Iran haben den drohenden Krieg vorerst abgeblasen. Für die Entscheidungsträger auf beiden Seiten wäre das ein unkalkulierbares Risiko gewesen. Doch der Konflikt kann leicht wieder hochkochen.

Im Konflikt zwischen den USA und dem Iran ist die Welt vorerst mit dem Schrecken davongekommen. Der iranische Gegenschlag blieb dosiert und ohne amerikanische Opfer. Die Entscheidungsträger in Teheran waren offenkundig bemüht, für das Publikum zuhause Entschlossenheit zu demonstrieren und zugleich den USA keinen Anlass zu liefern, ihrerseits wieder anzugreifen. Diese Botschaft ist in Washington angekommen. US-Präsident Donald Trump sprach im letzten Satz seiner gestrigen Erklärung sogar floskelhaft vom Frieden.
Beide Seiten hatten ein Interesse daran, die Eskalationsspirale jetzt anzuhalten. Das iranische Regime hat von dem Konflikt mit den USA profitiert. Die Empörung über den „großen Satan“ und der gemeinsame Kampf gegen den äußeren Feind überlagern die inneren Bruchlinien und stärken die Verfechter einer kompromisslosen Führung. Doch ein umfassender Krieg gegen die Supermacht könnte den politischen Gewinn ins Gegenteil verkehren. Er wäre für das Regime in Teheran ein unkalkulierbares Risiko für den eigenen Machterhalt.
Im Weißen Haus sieht die politische Gleichung vermutlich nicht völlig anders aus. Trump hat den iranischen General Qassem Soleimani mutmaßlich umbringen lassen, um am Beginn des Wahljahrs außenpolitische Stärke zu inszenieren und vom Scheitern seiner Politik gegenüber dem Iran und Nordkorea sowie vom Amtsenthebungsverfahren abzulenken. Doch auch für Trump wäre ein umfassender Krieg gegen den Iran ein unkalkulierbares politisches Risiko. Die Amerikaner sind kriegsmüde, und Trump verspricht seit Jahren, die Militäreinsätze seiner Vorgänger zu beenden und die Soldaten nach Hause zu holen. Er spielt gern mit martialischer Rhetorik und Tabubrüchen und trifft impulsive Entscheidungen, die Freund und Feind über seine Strategie rätseln lassen. Aber einer militärischen Konfrontation ist er bisher stets ausgewichen.
Der Instinkt des US-Präsidenten und das Kalkül in Teheran bieten aber keine Garantie dafür, dass die Katastrophe auch in Zukunft ausbleibt. Solange es keinen Dialog gibt, wird der Konflikt weiter köcheln – begleitet von Drohungen, Zwangsmaßnahmen, Nadelstichen und dem schleichenden Zerfall des Irak, in dem die USA und der Iran um Einfluss ringen. Auf beiden Seiten gibt es radikale Akteure und Einflüsterer, die diesmal nicht bekommen haben, was sie wollten. Sie brauchen nicht viel, um die Eskalationsspirale und die fatale Logik der Gesichtswahrung wieder in Gang zu bringen. Am Ende kommt es dann womöglich doch zu dem Krieg, den keiner wollte.

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