TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Weltordnung des Westens im Untergang“, Ausgabe vom 21. August 2021 von Christian Jentsch.

Innsbruck (OTS) Das Debakel der internationalen Gemeinschaft in Afghanistan manifestiert das brüchige Fundament der westlichen Weltordnung. Die Bilder vom Flughafen in Kabul entlarven die Verteidiger der Demokratie als Meister leerer Phrasen.

Groß war die Erleichterung in Europa, als der neue US-Präsident Joe Biden beim G7-Treffen vergangenen Juni von der Wiederauferstehung des Westens sprach. „Amerika ist zurück“, verkündete er den US-Verbündeten, die unter seinem Vorgänger Donald Trump schwer zu leiden hatten. Der hatte bekanntlich die transatlantische Partnerschaft in Frage gestellt, dem Multilateralismus abgeschworen und die Werte der liberalen westlichen Weltordnung im Müllkübel seines „America First“ entsorgt.
Mit Joe Biden schien die Gefahr der Erosion des Westens gebannt. Die USA meldeten sich als globale Führungsmacht zurück, als Verteidiger der Demokratie im harten Kampf gegen ein autoritäres Russland und ein China, das sich aus der zweiten Reihe anschickt, nicht mehr nur mit leisen Tönen die Weltführerschaft zu übernehmen. Die Guten konnten also wieder moralisch aufpoliert in den Kampf gegen die Bösen ziehen. Gut zwei Monate nach der selbst ernannten Wiederauferstehung des Westens senkt sich schon wieder der Vorhang auf der Bühne der Selbsttäuschung. 20 Jahre nach der US-geführten Militärintervention in Afghanistan als Reaktion auf 9/11 und dem in der Folge raschen Sturz der Taliban sind die Radikalislamisten als Herrscher am Hindukusch zurückgekehrt. Die USA und ihre Verbündeten haben sich aus dem Staub gemacht. Für sie gab es anscheinend nichts mehr zu gewinnen. Im Staub zurückgelassen wurden die zarten Pflänzchen namens Zivilgesellschaft und Frauenrechte, generell das „Projekt Demokratie“. Das alles liege nicht im nationalen Interesse der USA, ließ US-Präsident Biden nach dem überhasteten Abzug der US-Truppen wissen. Und das, nachdem Billionen US-Dollar für Kampfhandlungen, den Aufbau einer Armee und eines Regierungssystems ausgegeben wurden – einem Konstrukt, das wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Was bleibt, sind die Bilder von verzweifelten Menschen, die sich aus Angst vor den Islamisten der Taliban an ein vom Kabuler Flughafen abfliegendes US-Militärflugzeug klammerten, von Tausenden verzweifelten Menschen, die um ihr Leben fürchtend vor den Mauern zum Flughafengelände ausharren. Die Werte des Westens wurden da längst zu Grabe getragen. Wenn es um nicht mehr als geostrategische Interessen geht, wirkt die Kritik an Russland und China, die nun um die Gunst der Taliban ringen, um ihre muslimischen Minderheiten weiter im Zaum zu halten, alles andere als ehrlich. Als moralische Instanz kann sich der Westen in der Welt nicht mehr definieren.
Die Weltordnung des Westens ist ins Wanken geraten. Und das ganz ohne Fremdverschulden.

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