TIROLER TAGESZEITUNG, Leitartikel: „Europa macht sich unglaubwürdig“, von Gabriele Starck

Ausgabe vom Dienstag, 8. September 2020

Innsbruck (OTS) Die Diskussion in Deutschland, ob ein Baustopp für die Gaspipeline Nord Stream 2 als Strafmaßnahme gegen Russland für den Giftanschlag auf Nawalny in Frage kommt, ist oberflächlich geführt. Und sie ist peinlich für die EU.

Die Empörung über den Giftanschlag auf den russischen Oppositionellen Alexej Nawalny ist verblasst. Überdeckt zum einen von Moskaus Heiß-Kalt-Inszenierung zwischen diplomatischem Entgegenkommen, bei der Aufklärung zu helfen, und der Unverfrorenheit, die Vorwürfe einfach zu retournieren – bis hin zur Verschwörungstheorie, der Westen selbst habe Nawalny vergiftet. Der Kreml beherrscht dieses Spiel perfekt und ist darin bislang auch ungeschlagen.
Zum anderen aber neutralisiert die EU ihre Entrüstung selbst, weil sie dieses Spiel zulässt. Nicht freiwillig, sondern vielmehr durch ihre unbeholfene Art. So fühlt sich in Deutschland plötzlich fast ein jeder Politiker dazu berufen, öffentlich einen Baustopp der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 als Strafmaßnahme gegen Russland zu fordern – großteils aus innenpolitischem Kalkül. Denn die Konsequenzen, die sich daraus ergäben angesichts der Milliarden, die europäische Konzerne wie die österreichische OMV in das Projekt investiert haben, sind kaum Thema. Doch genau das wäre nötig, um dem Kreml klarzumachen, dass es der EU ernst ist. Ein Baustopp wäre ein sehr deutliches Signal, dass es reicht. Doch dies ist eine hochpolitische Entscheidung, die sowohl den beteiligten Unternehmen als auch den Bürgern ob der Steuermilliarden für Entschädigungen und des künftig vermutlich höheren Gaspreises gut erklärt werden müsste. Prognose: Der Baustopp kommt nicht.
Was die EU-Politik gegenüber Russland zudem unglaubwürdig macht, ist die Tatsache, dass jede Menge Ex-Regierungschefs nach ihrer politischen Karriere bei russischen Unternehmen angeheuert haben. Nicht nur der deutsche Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) bei Gazprom. Wolfgang Schüssel (ÖVP) sitzt im Aufsichtsrat eines russischen Energieversorgers, zuvor war er in jenem des größten russischen Mobilfunkanbieters. Und Christian Kern (SPÖ) ist Aufsichtsrat der russischen Staatsbahn.
Die EU sollte aber auch damit aufhören, sich als Opfer russischer Feindseligkeit zu inszenieren. Nicht Russland ist an die EU oder das westliche Militärbündnis NATO herangerückt. Im Gegenteil: Viele der ehemaligen Sowjetrepubliken sind heute Bündnispartner und/oder EU-Mitglieder. Das ist aus westlicher Sicht wunderbar, aus Moskaus Perspektive aber schwer zu ertragen. Und das Ringen und Werben beider Mächte um Einfluss und gute wirtschaftliche Beziehungen im ehemaligen Sowjetreich ist noch nicht beendet. Ein Beispiel dafür ist bzw. war bis zur Wahl im August auch Weißruss­land.

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